22.08. – 26.08.1992 / Rostock / Polizei / Justiz
Das Pogrom von Rostock – Lichtenhagen
Zu Beginn der 90er Jahre wird durch Politiker:innen der regierenden CDU und anderer Parteien die Asyldebatte angeheizt. Mit der Behauptung „Das Boot ist voll“ machen sie die in Deutschland lebenden Geflüchteten und Migrant:innen zu Sündenböcken für eine besonders in Ostdeutschland hohe Arbeitslosigkeit. Die menschenverachtende Debatte, die durch die Medien befeuert wird, führt in diesen Jahren zu zahllosen Morden, Ausschreitungen und Angriffen, von Nazis und Rassist:innen deren Opfer BiPoC, Wohnungslose oder Linke sind. Das Pogrom von Rostock Lichtenhagen ist dabei Höhepunkt und Ausdruck der sogenannten Baseballschlägerjahre (https://entnazifizierungjetzt.de/tag/baseballschlaegerjahre/)
Die „Zentrale Anlaufstelle für AsylbewerberInnen“ (ZASt) war in einem ehemaligen Wohnblock untergebracht. Für ankommende Asylbewerber:innen gab es keine Zimmer, keine Waschgelegenheiten oder Toiletten. Sie waren dadurch gezwungen, im Freien zu übernachten. Dieser Zustand war von den Verantwortlichen gewollt um abzuschrecken und die Asyldebatte zu befeuern. Beflügelt durch die von ihnen initiierten Pogrome zum Beispiel in Hoyerswerda (https://entnazifizierungjetzt.de/17-09-21-09-1991-hoyerswerda-polizei-justiz/) versuchten Nazis die Situation eskalieren zu lassen.
Bis zu 3000 Menschen versammelten sich in den Tagen des Pogroms. Ein Teil davon waren angereiste Nazis (inklusive führender Kader), aber die überwiegende Masse waren gewaltbereite Anwohner:innen und applaudierende Zuschauer:innen. Nur sehr wenige Einwohner:innen von Rostock – Lichtenhagen zeigten sich solidarisch. Es herrschte eine Volksfeststimmung, die auch durch fliegende Händler, die Alkohol und Speisen verkauften, unterstützt wurde.
Auf die ZASt und später auch das Wohnheim der vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen wurden Steine, Betonbrocken und Flaschen geworfen. Mit Molotowcocktails wurde versucht, die Gebäude in Brand zu stecken.
Es wurde teilweise erfolgreich versucht, in die Gebäude einzudringen.
Am 24.08.1992 wird dem Mob nachgegeben und die ZASt geräumt. Aber nicht das Wohnheim der Vertragsarbeiter:innen. Die Gewalt richtet sich nun besonders gegen dessen Bewohner:innen. Um 21.25 Uhr zieht sich die Polizei vollständig zurück und schützt das Haus nicht mehr. Nun stecken die Nazis das Haus an, in dem sich ca. 100 Menschen befinden. Die Feuerwehr wird daran gehindert, zum Einsatzort zu kommen. Die Polizisten, die noch in der Umgebung verblieben waren, verweigerten die Hilfe.
Erst gegen 22.30 Uhr versucht die Polizei, der Feuerwehr mit einem Wasserwerfer den Weg frei zu machen. Es gelingt gegen Mitternacht, das Feuer zu löschen.
Die Eingeschlossenen durchleiden inzwischen Todesangst. Bei ihnen sind nur wenige solidarische Menschen und ein Fernsehteam. Ihre Anrufe bei der Polizei werden nicht entgegengenommen. Die Fluchtwege ins benachbarte Haus sind verschlossen. Es gelingt ihnen mit großer Anstrengung, Schlösser und Türen aufzubrechen und sich schließlich zu retten.
Erst am 25.08.1992 wird die Polizei so verstärkt, dass es gelingt die Nazis zurückzudrängen und die Lage zu beruhigen.
Die politisch Verantwortlichen in Rostock und Mecklenburg Vorpommern haben die Situation an der ZASt herbeigeführt. Sie haben in den Tagen vor dem Pogrom auf eindeutige Ankündigungen nicht reagiert, nicht gewarnt, keine Maßnahmen ergriffen, nicht zur Beruhigung der Lage beigetragen.
In den Tagen des Pogroms haben sie sich weggeduckt, waren nicht erreichbar und haben die Situation eskalieren lassen. Öffentliche Auftritte in dieser Zeit haben sie genutzt, um die „Das Boot ist voll“ Stimmung anzuheizen.
Nach dem Pogrom haben die Verantwortlichen versucht das Pogrom zu verharmlosen und ihre Rolle darin falsch darzustellen. Sie sind nicht bestraft worden.
Die Polizei war für diesen Einsatz unzureichend ausgerüstet und in der Unterzahl. Polizist:innen wurden selbst Opfer der Angriffe. Allerdings waren sie im Gegensatz dazu in der Lage, eine antifaschistische Intervention zu verhindern. Eine Kundgebung von Antifas am 23.08.1992 wurde aufgelöst und mindestens 30 von ihnen festgenommen. In Handschellen wurden sie bis zum nächsten Morgen in einer Turnhalle festgehalten. Wie so oft war die Polizei in diesem Fall einfach engagierter als gegenüber den Nazis. Eine friedliche antifaschistische Demonstration einige Tage später wurde von 3000 Polizist:innen begleitet.
Die juristische Aufarbeitung verlief schleppend. Von den 257 Verfahren wurde die übergroße Mehrheit eingestellt. 40 Jugendliche wurden zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. 11 erhielten Haftstrafen, nur 4 von ihnen mussten diese tatsächlich absitzen.Ein Ermittlungsverfahren gegen Rostocks Polizeichef Siegfried Kordus wurde 1994 eingestellt.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/das-pogrom-von-rostock-lichtenhagen
https://de.wikipedia.org/wiki/Ausschreitungen_in_Rostock-Lichtenhagen