09.10.2019 / Halle / Polizei / Justiz
Der antisemitische, rassistische und antifeministische Anschlag in Halle
Ein Nazi versucht am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, in die Synagoge von Halle einzudringen und dort ein Massaker an den 50 dort feiernden Menschen zu begehen. Als ihm dies nicht gelingt, erschießt er die Passantin Jana Lange und den Gast eines Döner-Imbisses Kevin Schwarze. Auf seiner Flucht verletzt er weitere Menschen.
Nach dem Attentat kam heraus, dass die Hallenser Polizei trotz gegenteiliger Ansagen, die Synagoge nicht ausreichend schützte. Sie wurde nur unregelmäßig bestreift, auch an Jom Kippur. Der damalige Innenminister Stahlknecht wies die Kritik mit der Aussage zurück, dass die Polizist:innen dann an anderer Stelle fehlen würden.
Die ersten Polizeikräfte waren schnell vor Ort und handelten entschlossen. Weil aber der Polizeifunk überlastet war, mussten die Polizist:innen ihre Mobiltelefone nutzen.
Ein eingesetzter Untersuchungsausschuss attestierte den Beamt:innen aber mangelnde Empathie und Wissen über jüdisches Leben. So wurde die Evakuierung der Überlebenden kaum erklärt, das Geschehene nicht kommuniziert, die Besucher durchsucht und wie Verdächtige behandelt, ihnen die Mitnahme von koscherem Essen zunächst untersagt, im Krankenhaus ihre Gebete unterbrochen und sie später allein zurückgelassen. Eine Studentin berichtete, dass die Polizei den Überlebenden Zettel an die Kleidung heftete. Das habe sie stark an die Nummerierung von KZ-Häftlingen erinnert. Christina Feist, die auch in der Synagoge war und später als Nebenklägerin auftrat, sagte, der sie vernehmende Beamte habe sich „unhöflich, patzig und genervt“ verhalten.
https://taz.de/Verhalten-der-Polizei-bei-Halle-Anschlag/!5787440/
Der Prozess gegen den Attentäter zeigte auch Ermittlungsfehler der Polizei auf. Daten aus dem Internet wurden nicht gesichert und konnten so nicht als Beweise dienen. Auch über die Rolle von Gaming-Plattformen waren sich die Ermittler:innen offensichtlich im Unklaren und somit schlecht informiert.
https://www.zdf.de/politik/frontal/neue-spuren-vom-halle-attentaeter-100.html
In der Haft gelang es dem Täter, einen erfolglosen Fluchtversuch zu starten. Das wurde ihm erleichtert, weil die Zahl seiner Bewacher:innen entgegen eines Erlasses des Inneministeriums reduziert worden war.
Die Polizistin Lara G. aus Sachsen-Anhalt unterhielt unbemerkt Briefkontakt mit dem Inhaftierten. In den Briefen äußerte sie Sympatie für die Tat und erging sich in Verschwörungstheorien. Sie wurde vom Dienst suspendiert.
Auch andere Briefkontakte zu Nazis wurden bekannt, in denen der Täter Anleitungen zum Waffenbau niederschrieb.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/halle-attentaeter-polizistin-briefe-101.html
Im Juni 2020 wird ein Hakenkreuz aus Stofftaschentüchern vor der Synagogengemeinde abgelegt. Ein herbeigerufener Polizist versucht es mit dem Schuh zu entfernen und meldet, dass er nichts gefunden habe. Durch ein Video kann er überführt werden und wird vom Dienst suspendiert.
https://entnazifizierungjetzt.de/05-06-2020-halle-saale-polizei/
Die Unfähigkeit der Polizei, im Internet zu ermitteln und veraltete Vorstellungen von Taten im Internet führten dazu, dass sich der Angeklagte im Prozess immer wieder als Einzeltäter darstellen konnte und das Gericht dies nicht verhinderte. Der Generalbundesanwalt ließ zunächst von den Brüdern Tekin (Angestellte im Döner-Imbiss) anfangs nur Rifat, erst nach einer Anwaltsbeschwerde auch Ismet Tekin als Nebenkläger zu.
Es ist den Nebenkläger:innen zu verdanken, dass es gelang die Tat politisch richtig einzuschätzen. Nämlich als einen antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Anschlag.
https://www.der-rechte-rand.de/archive/7182/halle-die-taten-einordnen/
Auf seiner Flucht fuhr der Täter den Passanten Adiraxmaan Aftax Ibrahim an. Er überlebte schwer verletzt. Trotz eindeutiger Zeugenaussagen wie das Auto habe direkt auf ihn zugesteuert, die Geschwindigkeit erhöht und ihn trotz seines Versuchs wegzulaufen, auf der anderen Straßenseite gerammt, wurde diese Tat vom Gericht nicht als Mordversuch gewertet.
https://www.mdr.de/mdr-sachsen-anhalt/podcast/das-leben-danach/das-attentat-von-halle-100.html
https://www.der-rechte-rand.de/archive/7182/halle-die-taten-einordnen/
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167894.halle-prozess-die-polizei-am-zeugentisch.html
13.12.2022
Der Halle-Attentäter Stephan Bailliet hat mit einer Geiselnahme in seiner Justizvollzugsanstalt versucht, seine Freilassung zu erzwingen. Balliet soll dabei einen selbst gebauten „pistolenähnlichen Gegenstand“ genutzt und die zwei Geiseln damit bedroht haben. Er wird in eine bayrische Haftanstalt verlegt.
Im Mai 2023 wird deswegen Anklage gegen ihn erhoben.