1945 – 1973 / Bonn / Justiz
Nazis im Bundesjustizministerium
Im Ministerium für Justiz in der Bonner Rosenburg sind nach dem Krieg besonders viele Altnazis untergekommen. Insgesamt 170 Abteilungs-, Unterabteilungs- und Referatsleiter gab es bis 1973. Davon waren 53 Prozent ehemalige NSDAP-Mitglieder. Jeder fünfte war ein alter SA-Mann und 16 Prozent saßen schon im ehemaligen Reichsministerium der Justiz. “Im Untersuchungszeitraum von 1949/1950 bis 1973 lag die Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitglieder deutlich über 50 Prozent und in manchen Abteilungen des Ministeriums zeitweilig sogar über 70 Prozent, wie aus dem Abschlussbericht der Kommission mit dem Titel „Die Akte Rosenburg“ weiter hervorgeht.
Einige Beispiele:
Eduard Dreher wirkte als Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck an über 30 Todesurteilen mit. Unter anderem wegen sogenannten „Gewohnheitsverbrechen“ oder Mundraub von Lebensmitteln. Er galt als unerbittlich und konsequent.
Dreher wurde 1947 als Mitläufer entnazifiziert und kam bereits 1950 ans Bundesjustizministerium. Er arbeitete dort als Referatsleiter. In dieser Funktion war er maßgeblich an der Erarbeitung des „Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten“ im Jahr 1968 beteiligt. Dieses Gesetz sorgte dafür, dass der überwiegende Teil der Täter, die im Nationalsozialismus am Morden beteiligt gewesen waren, in den Genuss der Verjährung kam und damit straffrei blieb. Er galt als Strafrechtsexperte und verfasste Rechtskommentare.
siehe auch: https://entnazifizierungjetzt.de/24-05-1968-bonn-justiz/
https://web.archive.org/web/20101119233818/http://braunbuch.de/3-02.shtml#i01
https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Dreher
https://www.welt.de/geschichte/article158675490/NS-Juristen-wurden-Experten-fuer-NS-Verbrechen.html
Josef Schafheutle war ab 1933 im Reichsjustizministerium tätig und war dort mitverantwortlich für die Ausarbeitung des politischen Sonderstrafrechts. Als Kriegsgerichtsrat urteilte er über straffällig gewordene Wehrmachtssoldaten. Von 1946 – 1950 wurde er in einem sowjetischen Lager entnazifiziert. Nach seiner Entlassung ging er in die BRD und ins Bundesjustizministerium. Er war maßgeblich an der Schaffung des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes 1951 beteiligt. Darin waren, beinahe wortgleich, die Landesverratsdelikte aus der Strafrechtsnovelle von 1934 übernommen worden; das Gesetz richtete sich eindeutig gegen Kommunisten. Schafheutle gab entlastende Stellungnahmen zugunsten Eduard Drehers ab.
https://www.welt.de/geschichte/article158675490/NS-Juristen-wurden-Experten-fuer-NS-Verbrechen.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Schafheutle
Franz Massfeller war ab 1934 im Reichsjustizministerium für Familien- und Rasserecht zuständig. Als Amtsgerichtsrat verfasste er dort zusammen mit Arthur Gütt und Herbert Linden 1936 den Kommentar zum Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetz zur Reinhaltung des Deutschen Blutes. Im Reichssicherheitshauptamt nahm er an Besprechungen zur Endlösung der Judenfrage teil und war am 13. August 1941 Teilnehmer einer Konferenz unter Leitung von Adolf Eichmann, bei der es um eine „Verschärfung des Judenbegriffs“ ging. Als Oberlandesgerichtsrat nahm er als Vertreter des Reichsjustizministeriums an den Folgekonferenzen zur Wannseekonferenz am 6. März 1942 und am 27. Oktober 1942 im Eichmannreferat teil. Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde Massfeller 1949 als “nicht belastet” entnazifiziert und war in der Bundesrepublik ab Januar 1950 im Bundesjustizministerium zunächst als Oberregierungsrat zur Wiederverwendung tätig, danach leitete er bis 1964 als Ministerialrat das Referat für Familien- und Personenstandsrecht und war auch mit dem Straffreiheitsgesetz befasst, welches als de facto Amnestiegesetz vielen NS-Tätern zugute kam.
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Massfeller
Ernst Kanter trat als Amtsgerichtsrat 1933 in die NSDAP ein und wurde noch im gleichen Jahr Landgerichtsrat in Koblenz und ab 1935 dann Oberlandesgerichtsrat in Köln. Ab 1936 trat er in den Heeresjustizdienst der Wehrmacht ein, wo er am Reichskriegsgericht tätig war und 1939 sogar zum Senatsrat ernannt wurde. Ab 1943 war er Chefrichter im deutsch besetzten Dänemark und gehörte als Rechtsberater dem Stab des Befehlshabers der Wehrmacht in Dänemark an. Dort wirkte er an mindestens 103 Todesurteilen u.a. gegen Widerstandskämpfer:innen mit. Auch er wurde im Entnazifizierungsverfahren als “Entlasteter” eingestuft und kehrte schon im August 1947 als Oberlandesgerichtsrat in Neustadt an der Haardt in den Justizdienst zurück. Bereits im April 1951 trat er in den Dienst des Bundesjustizministeriums ein, wurde zum Ministerialrat ernannt und war dort ab 1954 Ministerial- und Strafrechtsreferent. 1958 wurde er versetzt und stand als Senatspräsident dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes vor, der unter anderem für Verfahren betreffend Hoch- und Landesverrat, für Verfolgung von Kommunisten, Überprüfung von der DDR erhobener Vorwürfe gegen NS-Juristen zuständig war.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Kanter
Walter Roemer war zwischen 1934 und 1945 Erster Staatsanwalt und Leiter der Vollstreckungsabteilung des Münchener Landgerichts. Dort war er zuständig für die Durchführung der vom Volksgerichtshof gegen bayerische Delinquenten verhängten Todesstrafen. Dazu zählten auch die Angehörigen der Weißen Rose, darunter Sophie Scholl, Hans Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und der Universitätsprofessor Kurt Huber. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Roemer zwischen 1945 und 1950 beim Bayerischen Staatsministerium der Justiz tätig. Von 1950 bis zur Pensionierung 1968 war er im deutschen Bundesministerium der Justiz im Range eines Ministerialdirektors Leiter der Abteilung für öffentliches Recht, die auch für die Grund- und Menschenrechte zuständig war.
https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Roemer
Hans Gawlik trat 1933 der NSDAP bei und war während der NS-Zeit Erster Staatsanwalt am Oberlandesgericht Breslau. Ab 1942 war er Staatsanwalt am Sondergericht Breslau, und damit mit der Ausschaltung politischer Gegner des Nazi-Regimes befasst. Ebenso war er Richter am Gaugericht des NSDAP-Gaues Oberschlesien. Zahlreiche Todesurteile wurden durch ihn in seiner Amtszeit verhängt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges ließ sich Gawlik als Anwalt in Nürnberg nieder. 1945/46 wurde er im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Verteidiger für die als kriminell angeklagte Organisation des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) bestellt. In den Folgejahren verteidigte er weitere wichtige Nazipersönlichkeiten wie Erich Naumann und Waldemar Hoven. Ab 1949 war er Leiter der Zentralen Rechtsschutzstelle, die dem Bundesjustizministerium und später dem Auswärtigen Amt unterstellt war. Diese Abteilung war dafür zuständig, Rechtsbeistand für Deutsche zu organisieren, die von nichtdeutschen Gerichten wegen NS- und Kriegsverbrechen gesucht wurden, angeklagt oder verurteilt worden waren. Sie warnte darüber hinaus zahlreiche Täter vor ihrer im Ausland stattfindenden Strafverfolgung, darunter den wichtigsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns Alois Brunner.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Gawlik
Dreher, Schafheutle, Massfeller, Kanter, Roemer und Gawlik gehören zu den Tätern, die in der BRD dafür sorgten, dass ihresgleichen straffrei blieb. Sie bildeten ein Netzwerk von Nazijuristen. Ihr Einfluss war prägend für Gesetze und Gerichtsbarkeit. Sie sind einschlägige Beispiele für die Renazifizierung der Bundesrepublik.