08.02.1997/Magdeburg/Polizei/Innenministerium
Frank Böttcher
Der 17-jährige Punk Frank Böttcher wurde in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1997 in Magdeburg-Olvenstedt von einem Naziskinhead ermordet. Er war am Nachmittag des 7. Februar zum dortigen Krankenhaus gefahren, um eine Verletzung an der Hand behandeln zu lassen. Im Krankenhaus gab er an, bereits auf dem Hinweg von drei jugendlichen Naziskinheads aufgrund seines Aussehens angepöbelt worden zu sein. Auf seinem Rückweg traf er bei der Endhaltestelle der Straßenbahn erneut auf die Gruppe von rechten Jugendlichen: Sie rissen ihn zu Boden, traten gegen seinen Kopf und verletzten ihn mit einem Messer. Um 4 Uhr morgens wurde er mit sieben Stichverletzungen und einem Schädel-Basisbruch auf dem Bürgersteig liegend gefunden und auf die Intensivstation des nahen Krankenhauses gebracht. Er verstarb um 5.30 Uhr an seinen Verletzungen.
Die Polizei erklärte direkt nach Bekanntwerden der Tat, dass sie in alle Richtungen ermittle und auch einen „Streit unter Punks“ für möglich halte. Der ältere Bruder Frank Böttchers wurde mehrfach von der Polizei verhört, die ihm bei einem dieser Verhöre unterstellte, dass er seinen eigenen Bruder umgebracht habe, da sie Streit wegen eines Mädchens gehabt hätten. Hinweise, die in die rechte Szene verwiesen, hielt die Magdeburger Polizei unter Verschluss, da ansonsten eine Eskalation unter rechten und linken Jugendlichen in der Stadt befürchtet wurde. Von Seiten der Polizei verwehrte man sich zudem dagegen, Magdeburg als ein Zentrum rechter Gewalt darzustellen. Der Leiter der Kripo-Sonderkommission, Harald Meier, erklärte: „Daß sowas mal passiert, das ist doch normal.“ Der Präsident des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt, Wolfgang Heidelberg, wollte in Hinsicht auf die durchaus bekannten Gruppen von Naziskinheads in Magdeburg nicht von Rechtsextremen reden, sondern nur von „dumpfen Kloppern“ und begründete das damit, dass es „keinen Führer in der Stadt“ gäbe.
Etwa zwei Wochen nach der Tat wurde der gleichaltrige Naziskinhead Marcus J. nach Hinweisen aus seinem Umfeld festgenommen, da er sich mit der Tat gegenüber anderen gebrüstet und ihnen sein blutiges Messer gezeigt hatte. Er wurde als alleiniger Täter, der während der Tat stark alkoholisiert gewesen sei, wegen Totschlags zu sieben Jahren Haft verurteilt. In der Verhandlung hatte der bereits wegen Körperverletzung verurteilte Angeklagte angegeben, sich durch Frank Böttchers Aussehen provoziert gefühlt zu haben, da er mit seinem roten Iro offensichtlich zur Punk-Szene gehöre. Weitere Mittäter wurden von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht ermittelt. Der Täter musste die Haftstrafe nur teilweise absitzen.
Die Tat war Teil einer ganzen Reihe von rechtsradikalen Gewalttaten in Magdeburg in den 1990er Jahren. So wurde bereits 1992 der Punk Torsten Lamprecht von Neonazis ermordet. Im Jahr 1998 wurde die Wohnung von Frank Böttchers Bruder von Naziskinheads angegriffen und ein Freund von ihm schwer verletzt.
Die Statistik des Bundeslandes Sachsen-Anhalt kategorisierte die Tat jedoch nicht als rechtsextremes Tötungsdelikt. Der von 1994 bis 2002 amtierende Innenminister Manfred Püchel von der SPD legitimierte das mit dem Verweis auf bundeseinheitliche Richtlinien, unter welche die Aussage des Täters, er habe sich durch das Aussehen provoziert gefühlt, nicht falle. Zudem habe der Täter keiner rechtsextremen Organisation angehört. Im September 1997 beantragte die PDS im Landtag, die Ermordung Böttchers in die Statistik aufzunehmen. Dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Püchel erklärte, ihm fehle das Verständnis für den Antrag. Erst 2009 wurde Frank Böttcher von der Bundesregierung als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.
Am 22. Februar 1997 veranstalteten Antifaschist:innen, Punks und weitere Menschen gegen rechte Gewalt in Magdeburg eine Frank-Böttcher-Gedenkdemonstration, die jährlich fortgeführt wurde. Ein 1998 von Magdeburger Antifas aufgestellter Gedenkstein für Böttcher wurde mehrfach geschändet und schließlich entwendet. Das Magdeburger Bündnis gegen Rechts errichtete 2005 einen neuen Gedenkstein, welcher 2007 ebenfalls entwendet wurde.
Im Januar 1998 wurde die Wohnung des Bruders von Nazis überfallen und dessen Freund schwer verletzt. An diesem Überfall war ein Angehöriger der Bundeswehr beteiligt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_B%C3%B6ttcher
https://www.rechte-gewalt-sachsen-anhalt.de/todesopfer/frank-boettcher/
https://www.rechte-gewalt-sachsen-anhalt.de/media/Bildungsmaterial.pdf
https://www.spiegel.de/politik/dann-brennt-die-stadt-a-476376ca-0002-0001-0000-000008670137