16.11.2004 / Bonn / Polizei
Am 16.11.2004 nimmt die Polizei in Bonn einen betrunkenen Mann in Gewahrsam, der randaliert haben soll. Um dem 30-jährigen Italiener Blut zu entnehmen (ohne je ein Einverständnis eingeholt zu haben) fesseln drei Polizeibeamte den Mann in einer Gewahrsamszelle. Seine Arme und Beine werden an Wandankern fixiert, sein Rücken und ein Oberarm zusätzlich mit den Knien zweier Beamten, sodass sein Gesicht für etwa 20 Minuten in eine Matte gedrückt bleibt. Ein für die Blutentnahme anwesender Arzt befindet den Mann zwar für gewahrsamsunfähig, ein Krankenwagen für den zu diesem Zeitpunkt bereits stark keuchenden Mann wird jedoch erst 30 Minuten später gerufen. Der Festgenommene erleidet durch die gewaltsame Misshandlung einen Herzstillstand, fällt dauerhaft ins Koma und trägt einen irreversiblen Hirnschaden davon. Nach verspäteter Reanimation wacht er nicht mehr auf.
Die Bonner Staatsanwaltschaft erhebt im November 2005 Anklage wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung. Im Juni 2006 werden die drei Bonner Polizeibeamten wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt zu sechs und sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, der mitangeklagte Polizeiarzt zu neun Monaten auf Bewährung. Eine Überwachungskamera der Zelle hatte die Vorgänge aufgezeichnet. Die unfreiwillige Blutentnahme sei „unverhältnismäßig“ gewesen, unklar bliebe aber, ob für den Herzstillstand das Verhalten der Polizei oder der Alkoholmissbrauch ursächlich gewesen sei. Dabei warnt jedoch ein Leitfaden des Innenministeriums zum „plötzlichen Tod bei Festnahmen und Transporten“ aus dem Jahr 1999 genau vor einer solchen Erstickungsgefahr; ein Merkblatt das die Beamten nie erhalten haben wollen. Auch die Wandanker hätten offiziell längst abmontiert sein müssen, einer der Beamten war für die Wiederanbringung verantwortlich.
Die Schwester des Verletzten verklagt 2008 das Land Nordrhein-Westfalen auf 200.000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz. Um einen langen Prozess zu vermeiden, schlägt das Bonner Zivilgericht einen Vergleich vor und zahlt 150.000 Euro.
Quellen:
Kant, Martina, Chronologie, Bürgerrechte & Polizei, Cilip 82, Nr. 3/2005, S. 100, https://archiv.cilip.de/Hefte/CILIP_082.pdf
https://forum-recht-online.de/wp/wp-content/uploads/2012/06/FoR0701_Infobox.pdf
https://ga.de/region/der-fall-des-koma-patienten-beschaeftigt-gericht_aid-40115631