Hannibals Schattenarmee, Nordkreuz und der Fall Franco Albrecht
– Gastbeitrag –
Unzählige Namen, verwirrende Abkürzungen und so vieles, das gleichzeitig passiert, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten. Damit das einfacher wird, haben wir eine Chronik aller (bekannten) Ereignisse rund um die Schattenarmee von André Schmitt, Deckname „Hannibal“, Chatgruppen wie „Nordkreuz“ und den Fall Franco Albrecht erstellt – inklusive inhaltlicher Einordnungen, aller Verbindungslinien und Klarnamen der Beteiligten, wo auch immer wir sie finden konnten.
Diese Chronik ist ein Beitrag dazu, die Forderungen Hinterbliebener von Opfern rechter Gewalt ernstzunehmen, und zur Aufklärung beizutragen.
Wir haben was vergessen, Fehler haben sich eingeschlichen oder ihr kennt weitere Klarnamen? Dann meldet euch bei uns: https://entnazifizierungjetzt.de/mach-mit/
1993: der spätere SEK-Polizist Marko Groß ist beim Brandenburger Panzergrenadierbataillon 421 (Potsdam) als Bundeswehrsoldat eingesetzt. Eine Maschinenpistole verschwindet von dort – und taucht 26 Jahre später in Marko Groß‘ Arbeitszimmer wieder auf.
2009: Einigen Kolleg*innen von Marko Groß, mittlerweile SEK-Polizist aus dem Mecklenburg-Vorpommerschen Güstrow, fällt auf, dass dieser sich ohne die nötige Distanz sehr für den Nationalsozialismus zu interessieren scheint. Er besitze Bücher über die Wehrmacht und die SS und entsprechende T-Shirts. Die Leitung des Landeskriminalamtes wird informiert, Konsequenzen gibt es keine.
2012: André Schmitt, Soldat der Eliteeinheit KSK in der Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg), spezialisiert auf Terrorbekämpfung und Geiselbefreiung, und Kolleg:innen von ihm gründen erstmalig den Verein Uniter e.V. Dieser soll als eine Art Versicherung für Soldat:innen fungieren, nachdem diese ihre Karriere bei der Bundeswehr beendet haben. Wegen Unstimmigkeiten wird der Verein jedoch zeitnah wieder aufgelöst.
Im selben Jahr fällt ein paar Innenministerien auf, dass immer wieder Munition abhandenkommt. Nichts wird unternommen.
Ende 2013: Der Soldat Franco Albrecht, stationiert beim Jägerbataillon 291 der Deutsch-Französischen Brigade in Illkirch-Graffenstaden reicht im Rahmen seiner Offiziersausbildung seine Masterarbeit ein. Das Thema: Die Ausrottung von Bevölkerungen durch Eigenverschulden („Autogenozid“) und der damit einhergehende Niedergang von Kulturen. Ein völkisch-nationalistisches Gesamtwerk. Sein französischer Ausbilder lässt ihn dafür durchfallen. Ein externer Historiker wird von der deutschen Bundeswehr mit der Begutachtung beauftragt und stuft die Arbeit als pseudowissenschaftlich und rassistisch ein. Franco Albrecht bekommt eine Verwarnung – und die Möglichkeit, eine neue Masterarbeit vorzulegen. Mit dieser besteht er und wird Berufssoldat. Der Militärische Abschirmdienst (MAD), dessen Aufgabe es ist, Bedrohungen innerhalb der Bundeswehr zu erkennen und zu verhindern, wird nicht informiert.
2014-2016: Hobby-Prepper (Menschen, die sich auf Ausnahmesituationen wie Stromausfälle, Naturkatastrophen und Kriegszustände vorbereiten, Reserven lagern und alles rund um das Thema „Überleben“ lernen), organisierte Rechte und alle dazwischen, darunter diverse Staatsdiener, horchen angesichts der politischen Lage zunehmend auf. Der Beginn der Krim-Krise 2014 und damit erstmals wieder Krieg auf europäischem Boden, der lange Sommer der Migration 2015, all das wird zum Anlass genommen, von einer krisenhaften Zuspitzung der politischen Situation in Deutschland auszugehen. Was für manche bedrohlich wirkt, sehen andere als Chance, den eigenen, national-faschistischen Zukunftsvisionen einen konkreten Schritt näher kommen zu können.
spätestens 2015: André Schmitt, Chatname „Hannibal“, beginnt mit dem Aufbau eines bundesweiten Netzwerks rechter Preppergruppen, unterteilt in „Nord“, „Süd“, „Ost“ und „West“, analog der ursprünglichen Distrikte der Wehrbereichsverwaltung der Bundeswehr. Mindestens eine Chatgruppe, die Gruppe Nord, wird von Robert P. mit dem Chatnamen „Petrus“ geleitet, ebenfalls KSK-Elitesoldat.
29.12.2015: Franco Albrecht gibt sich als syrischer Christ „David Benjamin“ aus und lässt sich als Asylsuchender in der Erstaufnahmestelle Gießen registrieren. Er bezieht über ein Jahr Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
2016: Uniter e. V. wird erneut gegründet, dieses Mal in Stuttgart mit den Vorstandsmitgliedern Ringo Mitera und André Schmitt. „Uniter“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt „in eins verbunden“. Auch mithilfe des zweiten Uniter e. V. soll ein Netzwerk für eine Karriere nach der Bundeswehr geschaffen werden. Neben Seminaren und Fortbildungen werden paramilitärische Trainings angeboten. Auch Ärzt:innen, Handwerker:innen, Jurist:innen, Securities und Sportler:innen gehören dem Verein an. Die genaue Mitgliederzahl ist nicht bekannt, Schätzungen gehen vage von ca. 500-1800 Mitgliedern aus. Auch Uniter e.V. unterteilt sich in die Distrikte Nord, Süd, Ost und West. Das Finanzamt Stuttgart erteilt Uniter e. V. später die Gemeinnützigkeit. Während Vereine und Netzwerke wie „attac“ oder „Deutsche Umwelthilfe“ um ihren Status bangen oder diesen aberkannt bekommen, können Spenden an Uniter e. V. problemlos von der Steuer abgesetzt werden.
Im selben Jahr findet auch in Albstadt in Baden-Württemberg ein konspiratives Vereinstreffen mit rund 30 Mitgliedern statt. Angeblich ging es darum, sich über Waffen auszutauschen, die Handys bleiben abhörsicher in den Autos und werden nicht mitgenommen. Mit dabei: André Schmitt und Franco Albrecht.
Ringo Mitera, Vorstandsvorsitzender von Uniter e. V., ist Polizist in Baden-Württemberg und war bis zum Jahr 2014 Truppführer der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 523 der baden-württembergischen Bereitschaftspolizei. Die BFE 523, mittlerweile aufgelöst, gilt als von Neonazis durchsetzt. Mit dabei: Die beiden Ku-Klux-Klan Mitglieder Timo H. und Jörg W. sowie Martin Hess, mittlerweile AfD-Bundestagsabgeordneter und deren innenpolitischer Sprecher. Ebenfalls Mitglied der BFE 523: Michèle Kiesewetter, die Polizistin, die im April 2007 von Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im Dienst erschossen wurde. Das Opfer, das sich von all den anderen NSU-Morden unterscheidet: eine deutsche Polizistin, kein migrantischer Gastronom, Handwerker oder Händler. Vermutlich mehr als zwei Täter, weswegen nicht von einer alleinigen Tat Uwe Böhnhardts und Uwe Mundlos‘ ausgegangen werden kann. Eine andere Mordwaffe. Der vermutlich letzte Mord des NSU. Zugführer der BFE 523 ist Thomas B. und damit auch Vorgesetzter von Ringo Mitera und Michèle Kiesewetter. Vor seiner Tätigkeit beim BFE war er Präzisionsschütze des SEK in Baden-Württemberg. Thomas B. wurde 2010 vom Dienst suspendiert, da er im Auftrag des Unternehmens „BDB Protection“ im Rahmen der sogenannten „Libyen-Affäre“ als Führungsperson in Tripolis verbotenerweise Sicherheitskräfte des Diktators Muammar al-Gaddafi trainiert haben soll. Mit dabei: Sein Freund und ehemaliger SEK-Kollege Stephan Fischer. Nach ihrer dienstlichen Suspendierung gründen die beiden das Sicherheits- und Beratungsunternehmen „SOTCON“ mit Schwerpunkt in Libyen und Somalia. Wichtiger Geschäftspartner: Uniter e. V.
André Schmitt und Thomas B. sind langjährige Freunde. Auch Uniter e. V. wird mit diktatorischen Militärs im Ausland zusammenarbeiten. Ebenfalls brisant: Ermittlungsprotokollen zufolge sagte die Halbschwester von Michèle Kiesewetter aus, dass diese mit ihrem Vorgesetzten Thomas B. für eine kurze Zeit eine Affäre gehabt hätte. Thomas B. bestreitet das. Warum? Und gibt es Verbindungen zwischen Uniter e. V., Nordkreuz und dem NSU durch die BFE 523? Warum und von wem wurde Michèle Kiesewetter umgebracht? War es Zufall, dass ausgerechnet Ku-Klux-Klan Mitglied und Kollege Timo H. im Dienst und damit einer der ersten am Tatort war? Ein Zufall auch, dass Timo H. einer Klan-Zelle zusammen mit Achim Schmid und Thomas Richter (bekannt unter seinem Decknamen „Corelli“) angehörte? Beide Neonazis, beide V-Männer, beide bekannte oder vermutete Kontaktpersonen des NSU. Hier ist nur Spekulation möglich. „Bemerkenswert ist es jedoch allemal.“ (Heyer, Luca 2019: Der Hannibal-Komplex. Ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten. Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V., S. 9.)
Auch Ringo Mitera selbst ist nicht gerade unauffällig. Neben Gründung des Uniter e. V. und seinem Dienst in der BFE 523 ist er aktives Mitglied in der z. T. rechten Polizeigewerkschaft DPolG und von 2015 bis 2019 ebenfalls beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Baden-Württemberg tätig.
Ebenfalls 2016: Marko Groß, Polizist des LKA und SEK Mecklenburg-Vorpommern gründet im Januar unter dem Nickname „Hombre“ die Chatgruppen „Nordkreuz“ und „Nord Com“. Nordkreuz dient als Informationskanal, Nord Com zur Koordination und Organisation der Gruppenmitglieder. Alle Mitglieder verpflichten sich zur Einhaltung der „standard operating procedure“, Militärsprache für streng standardisierte Verfahrensabläufe. Gemeint ist der Verhaltenskodex der Chatgruppe. Deren Bild: Die Wirmer-Flagge, ursprünglich Symbol des Widerstands gegen Adolf Hitler, heute bei Pegida-Demonstrationen vorzufinden.
Noch im selben Jahr beginnen Nachrichtendienste, mindestens die Gruppe Nordkreuz zu überwachen – heißt es zunächst. Später wird der Verfassungsschutz dementieren und behaupten, er habe erstmalig im Juni 2017 Kenntnis von den Chatgruppen erhalten. Weitere Mitglieder der Gruppe sind unter anderem:
Jan-Hendrik Hammer: Anwalt und Lokalpolitiker in Rostock. Früheres FDP-Mitglied, nach seinem Austritt 2016 inhaltliche Annäherung an die AfD (v. a. über Holger Arppe) und die neurechte Identitäre Bewegung (v. a. über Daniel Fiß), er selbst ist Mitglied der UFR-Fraktion (Unabhängige Bürger für Rostock). Jan-Hendrik Hammer beschreibt sich selbst als „ziemlich rechtskonservativ. Aber auch schon sehr pessimistisch. […] Und wenn jetzt auch noch die AfD scheitert, dann ist es eben gut, wenn man einen Schrank voller Gewehre und ’ne Munitionskiste in der Garage hat.“ Als Lokalpolitiker geht er vor allem gegen Linke und alternative Orte in der Stadt wie Wagenburgen vor. Über Kolleg:innen sagt er: „Manche Leute in der Bürgerschaft kann ich mir nur mit einem Loch im Kopf vorstellen, sonst ertrage ich diese linken Schweine nicht“ (https://www.infonordost.de/der-hannibal-komplex-prepper-zelle-im-reservistenverband-mecklenburg-vorpommern/). Er ist Jäger, Sportschütze und besitzt Waffen. Auf einem Schießwettbewerb, den er bei sich im Garten veranstaltet, gibt es den Wanderpokal „Mehmet Turgut“ zu gewinnen. Mehmet Turgut wurde 2004 vom NSU in Rostock ermordet. Gewinner des Pokals: sein Kumpel Marko Groß, später bekannt als Gründer und Munitionssammler der Gruppe Nordkreuz. Haik Jaeger: Kriminalpolizist aus Grabow und AfD-Politiker in Mecklenburg-Vorpommern. Früher tätig beim Polizeikommissariat 42 in Hamburg-Billstedt. Er wird im Zusammenhang mit der Razzia vom 28.08.2017 vom Dienst suspendiert.
Neben Nordkreuz und Nord Com existieren auch noch weitere Chatgruppen, sie nennen sich „Vier gewinnt“ oder einfach nur „Nord“. Letztere wird von André Schmitt verwaltet. Dessen Schlüsselfunktion beim Aufbau der rechtsextremen Zellen liegt auf der Hand: „Er versorgt die Chatgruppen mit Informationen, reist quer durch die Republik zu gemeinsamen Treffen und predigt anlässlich der sogenannten Flüchtlingskrise, jeder vernünftige Mensch müsse sich für den Ernstfall vorbereiten.“ (Kaul, Martin; Schmidt, Christina; Erb, Sebastian; Nabert, Alexander 2019: Hannibals Netz. Wie ein Elitesoldat der Bundeswehr bundesweit für den Tag X mobilisierte. In: Meisner, Matthias; Kleffner, Heike 2019: Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Verlag Herder GmbH Freiburg im Breisgau, S. 250). Auch in Österreich und in der Schweiz sind Gruppen im Aufbau. In den Chatgruppen wird u. a. über „Safe-Häuser“ gesprochen, konkrete Treff- und Sammelpunkte werden für den Ernstfall festgelegt – es ist von Orten in Nürnberg, Ulm, Langgries und Bad Tölz die Rede. Auch die Kaserne in Calw soll ein sicherer Ort sein – natürlich nur, wenn diese im Krisenfall auch eingenommen wird.
Januar 2017: Ringo Mitera tritt aus Uniter e. V. aus. Ausschlaggebend dafür nennt er private Gründe. Kurz darauf fliegt die Affäre rund um Franco Albrecht auf. Es ist möglich, dass seine Vereinsmitgliedschaft vom LfV Baden-Württemberg problematisiert und ihm ein Rücktritt nahegelegt worden ist. Als Uniter e. V. später unangenehm ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wird, hält ihm sein Arbeitgeber den Rücken frei: „Der Mitarbeiter hat in seiner Zuständigkeit – soweit ersichtlich – keinerlei Berührungspunkte zum Verein Uniter e. V.“ („Verbindung enger als bekannt“, taz-Artikel von Sebastian Erb, Christina Schmidt und Martin Kaul vom 13.03.2019). Könnte man auch übersetzen mit: „Wenn Mitarbeiter:innen der staatlichen Sicherheitsbehörden in ihrer Freizeit eine rechte Revolution planen, hat das nichts mit ihrer Arbeit zu tun“ – selbst wenn diese daraus besteht, demokratiefeindliche Handlungen zu erkennen und zu verhindern.
Anfang 2017: Horst Schelski, Kommandant einer Reservistenkompanie, der SEK-Polizist Marko Groß, der Versicherungsvertreter, Ex-Bundeswehrsoldat und Gruppenführer in Horst Schelskis Reservistenkomanpie, Jörg Scholze, sowie der Polizist Haik Jaeger verabreden sich am Stehimbiss an einer Landstraße nahe Schwerin. Sie sind in der Chatgruppe „Vier gewinnt“ miteinander vernetzt und treffen sich, um organisatorische Fragen für „Tag X“ zu klären, dem Tag, an dem die Zustände den Umsturz zulassen, an dem politische Gegner*innen interniert und liquidiert werden können. Diskutiert wird auch die Möglichkeit, über Horst Schelski an Lastwagen der Bundeswehr zu kommen und die Frage, ob damit Straßenkontrollen vermeidbar wären. Sie reden über Erschießungen und die „Endlösung“. Für den Ernstfall soll alles vorbereitet sein. Die Bundesregierung wird den Mitgliedern der Chatgruppe „Vier gewinnt“ später eine ‚gefestigte rechtsextremistische Einstellung‘ nachsagen. In der Chatgruppe „Nordkreuz“ sind sie unter Administration von Marko Groß mit rund 25 weiteren Personen vernetzt.
Ebenfalls 2017: Im Laufe des Jahres tritt Uniter e. V. der „Lazarus Union“ bei, einem Eliteverband, der sich neben Beratungstätigkeiten bei den Vereinten Nationen und karitativen Aktionen auch als eine Art Ritterorden inszeniert – inklusive Freimaurer-Tempeln, Gelübden, streng hierarchischer Strukturen, Umhängen und Schwertern. Auf seiner Homepage äußert sich der Verein auch zum Thema Migration und verweist auf die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention, nicht ohne zu betonen: Aber auch „Selbstschutz“ (vor Flüchtlingen, Anmerkung der Autorin) ist ein Menschenrecht!“ (https://www.lazarus-union.org/asylwerber-und-immigranten/).
22.01.2017: Der Soldat Franco Albrecht und sein Kamerad Maximilian Tischer, ebenfalls Soldat des KSK-Jägerbataillons 291, fliegen nach einem Besuch des Balls der Offiziere in Wien zurück nach Deutschland. Kurz vor dem Abflug deponiert Franco Albrecht im Putzschacht einer Behindertentoilette eine Waffe. Er fotografiert das Versteck und verschickt das Bild an eine WhatsApp-Gruppe, in der er sich mit Kameraden, u. a. dem Studenten Mathias Flöhr, austauscht, darunter rassistische Sprüche, Fotos und Nachrichten mit Bezug zur Wehrmacht. Die Waffe wird kurze Zeit später von einer Reinigungskraft gefunden und der Flughafenpolizei übergeben.
03.02.2017: Franco Albrecht reist mit einem One-Way-Ticket erneut nach Wien, um dort die Waffe wieder an sich zu nehmen. Darauf hat die alarmierte österreichische Polizei nur gewartet. Franco Albrecht wird festgenommen. Er gibt zu, die Waffe einige Tage zuvor dort deponiert zu haben. Seine Story: Er habe die geladene Waffe zufällig am Vortag in einem Gebüsch gefunden und eingesteckt. Erst am Flughafen habe er sich an sie erinnert und noch vor den Sicherheitskontrollen schnell loswerden wollen. Nun sei er zurückgekehrt, um sie den Behörden zu übergeben. Die österreichische Polizei nimmt Fingerabdrücke von Franco Albrecht – und stellt fest, dass diese mit denen der Registrierung eines syrischen Asylsuchenden in Hessen namens David Benjamin übereinstimmen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main leitet Ermittlungen ein, ihm werden die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, Betrug und Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Ihr gegenüber wird Franco Albrecht behaupten, bei der Registrierung als Asylsuchender habe es sich lediglich um investigativen Journalismus gehandelt. Das BKA beginnt zu ermitteln, stößt auf die Chatgruppe Süd und den Verein Uniter e. V. Da diesem paramilitärischen Verein diverse Soldaten angehören, bittet das BKA beim MAD um Informationen. Der weiß von nichts und ruft bei André Schmitt persönlich an. Alles in Ordnung? Alles in Ordnung.
Februar 2017: André Schmitt gibt die Anweisung, alle Chatgruppen zu löschen. Später wird er aussagen, er habe lediglich verhindern wollen, dass auf die Mitglieder der Gruppen ein schlechtes Licht geworfen werde – schließlich war Franco Albrecht in der Chatgruppe Süd organisiert.
27.04.2017: Die Beweise sind erdrückend und die Staatsanwaltschaft lässt Franco Albrecht auf dem Bundeswehrgelände in Hammelburg festnehmen. Auch Mathias Flöhr wird festgenommen. Parallel finden Razzien an 16 verschiedenen Orten in Deutschland, Österreich und Frankreich statt. In der gemeinsamen Wohnung von Franco Albrecht und seiner Partnerin Sophia Tischer (mittlerweile seine Verlobte), der Schwester von Maximilian Tischer, wird folgender Fund gemacht: zwei Gewehre, eine Pistole, 50 Sprengkörper, Wehrmachtsreliquien, in Waffen eingeritzte Hakenkreuze, die von Islamist:innen herausgegebene Bombenbauanleitung „Mujahideen Explosives Handbook“, Adolf Hitlers „Mein Kampf“, die bei Neonazis beliebte Guerillaanleitung „Der Totale Widerstand“, eine Liste mit Namen, Institutionen und Notizen – sowie ein Uniter-Abzeichen. Zusätzlich werden im Schrank von Mathias Flöhrs Studentenzimmer in Friedberg gefunden: 1083 Patronen verschiedener Kaliber, darunter 885 Schuss für Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Leuchtspurgeschosse, Zünder, andere Teile von Handgranaten sowie Leucht- und Nebelmunition – in großen Teilen aus Bundeswehrbeständen. Mathias Flöhr gibt an, all diese Sachen erst vor knapp zwei Wochen von Franco Albrecht entgegengenommen zu haben. Sie wurden z. T. auf dem Schwarzmarkt organisiert, überwiegend aber aus der Kaserne Hammelburg entwendet, indem die verschossene Munition bei Schießübungen falsch protokolliert und die Differenz mitgenommen wurde. Genau wie bei Franco Albrecht werden auch bei Maximilian Tischer Listen mit Namen, Institutionen, Adressen und Notizen zu konkreten Anschlagplänen gefunden. Darauf stehen u. a.: Joachim Gauck, Heiko Maas, Claudia Roth, Bodo Ramelow, der Zentralrat der Juden, der Zentralrat der Muslime, Anetta Kahane sowie Ausspähnotizen und Fotos der Amadeu-Antonio-Stiftung, aber auch Vorhaben wie „Befreiung der im Gefängnis sitzenden Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck“, „Sprengung Rothschild-Stein in Frankfurt“ und „Gruppe Antifa: Granate Asylant werfen lassen, filmen“ (Heyer, Luca 2019: Der Hannibal-Komplex. Ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten. Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V., S. 6). Auch Maximilan Tischers Handy wird unter die Lupe genommen. Nichts ist darauf. Alle Daten gelöscht. Mehrere Fragen drängen sich auf: Haben Franco Albrecht und seine Komplizen Anschläge auf hochrangige Politiker:innen und Institutionen geplant? Sollten diese unter der Tarnung des nicht existierenden syrischen Geflüchteten, David Benjamin, durchgeführt werden? Stehen diese Pläne in Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf „Tag X“, von dem in Franco Albrechts Chatgruppen die Rede ist? Sollten die Anschläge im Namen eines vermeintlichen Geflüchteten vielleicht sogar dazu dienen, den „Tag X“ auszulösen, eine gesellschaftliche Eskalation herbeizuführen, in deren Schatten es legitim wäre, zusammen mit Kameraden und mithilfe vermeintlicher Gegengewalt das eigene Verständnis von Recht und Ordnung durchzusetzen? Und wieso hat der MAD davon nichts mitbekommen, wenn es doch seine Aufgabe ist, Staatsgefährdungen innerhalb der Bundeswehr aufzuspüren? Zeug:innen-Aussagen legen außerdem nahe, dass Franco Albrecht weitere Waffen besaß. Wo sind diese jetzt?
16.05.2017: Im Zusammenhang mit der Affäre rund um Franco Albrecht ordnet Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Durchsuchung diverser Kasernen an. Es werden insgesamt über 400 Wehrmachtsandenken gefunden, z. T. legale wissenschaftliche Exponate, z. T. illegale Devotionalien mit eingravierten Hakenkreuzen.
Juni 2017: Horst Schelski zerstört im Bunker seines Grundstücks sein Smartphone mithilfe eines Schraubstocks. Nun sind alle Daten zerstört. Er selbst gibt Ermittler:innen gegenüber an, dass er sein altes Handy nur zerstörte, weil er sich ein neues zugelegt habe. Alles völlig normal. Horst Schelski ist Kompanieführer einer Reservisteneinheit in Mecklenburg-Vorpommern. Eigentlich soll diese beim G20-Gipfel am 7./8. Juli in Hamburg eingesetzt werden. Doch dazu kommt es nicht, denn Horst Schelski wird im Juni 2017 von MAD und Verfassungsschutz unter die Lupe genommen. Die Gründe: Buchbestellungen beim rechten Thule-Seminar sowie verdächtige Chatgruppen auf seinem Handy. Doch das ist bereits zerstört. Horst Schelski gibt an, die Bücher zur SS-Division Wiking aus biographischem Interesse von seinem Großvater gekauft zu haben. Vor allem durch Horst Schelski kommen die Umsturzpläne für den „Tag X“ ans Tageslicht. Es wird davon ausgegangen, dass das BKA im Rahmen der Ermittlungen rund um den Fall Franco Albrecht auf Horst Schelski aufmerksam geworden ist. Angeblich soll Horst Schelski sich dem BKA freiwillig als Hinweisgeber angeboten haben. Doch die zeitliche Nähe zur Aufklärung des Falls Franco Albrecht lässt auch die Interpretation zu, dass die Ermittler:innen durch dessen Zugehörigkeit zu Uniter e. V. und der Chatgruppe Süd auch auf Nordkreuz aufmerksam wurden und Horst S. nicht wirklich freiwillig geplaudert hat.
13.07.2017: Im brandenburgischen Wittstock vernehmen zwei Beamte des BKA Horst Schelski. Nach acht Stunden Vernehmung beginnt er endlich Klartext zu reden. Umfassend und detailliert erzählt er den Beamten von den Vorbereitungen auf „Tag X“, angeblich ausgelöst durch Überfälle und Vergewaltigungen durch Geflüchtete, Terroranschläge und verslumte deutsche Innenstädte. Wenn die deutsche Polizei überfordert sei und die öffentliche Ordnung zusammenbreche, stünden die Kameraden bereit (https://www.focus.de/politik/deutschland/politik-die-verschwoerung_id_9879853.html). Horst Scheslki nennt Namen, darunter Soldaten wie André Schmitt. Er erzählt von Todeslisten und Waffenschränken, von den Lagerhallen und den Lastwagen. Alles finanziert durch gemeinsam angelegte Kassen. Die Beamten sind alarmiert, die Beschreibungen erinnern an die „Schwarze Reichswehr“ (https://www.wikiwand.com/de/Schwarze_Reichswehr) aus der Weimarer Republik: Eine demokratiefeindliche, paramilitärische Organisation innerhalb der eigenen Behörden, unterstützt von eben diesen. Aus ermittlungstaktischen Gründen informiert das BKA niemanden über den Verdacht – auch nicht die dafür zuständigen Gremien des Bundestages.
Juli 2017: Der Haftbefehl gegen Maximilian Tischer wird aufgehoben, das Verfahren gegen ihn kurze Zeit später eingestellt. Gründe hierfür ließen sich nicht herausfinden.
22.07.2017: Franco Albrecht ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß, die Ermittlungen dauern aber an. An diesem Tag späht er die Tiefgarage der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin aus. Er macht Fotos von Autokennzeichen.
28.08.2017, Razzia 1: Das SEK stürmt mithilfe von Blendgranaten und Sprengstoffspürhunden Wohnungen und Büros in Mecklenburg-Vorpommern. Grund: Es gebe Hinweise auf die Planung einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat. Das Brisante: Die Razzia wird nicht von den Behörden in Mecklenburg-Vorpommern angeordnet, sondern von der Bundesanwaltschaft. Weder das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern noch Innenminister Lorenz Caffier (CDU) werden im Vorfeld darüber informiert. Offensichtlich besteht auf Bundesebene Anlass zur Sorge, dass die Verdächtigen aus den Reihen der mecklenburg-vorpommerschen Behörden vorgewarnt werden könnten – so wie auch Horst Schelskis Handy „zufällig“ schon zerstört war, als er danach gefragt wurde. Bei der Razzia werden die Nordkreuz-Mitglieder Jan-Hendrik Hammer und Haik Jaeger als Beschuldigte durchsucht. Bei ihnen finden die Ermittler:innen Ordner mit über 5.000 Namen, Adressen und Fotos von Menschen, vor allem aus dem linken Spektrum. An manchen Stellen wurden handschriftliche Notizen hinzugefügt. Später wird sich herausstellen, dass z. T. Grundrisse von Wohnungen aus polizeilichen Unterlagen stammen – sie wurden nach Morddrohungen zum Schutz von Personen angefertigt. Zum Schutz von Personen, die sich nun auf diesen Listen wiederfinden. Haik Jaeger soll diese Informationen von seinem Dienstcomputer abgerufen haben. Zeug:innen sollen der Polizei gesagt haben: „Die Personen sollten gesammelt und umgebracht werden“ (Kaul, Martin; Schmidt, Christina; Erb, Sebastian; Nabert, Alexander 2019: Hannibals Netz. Wie ein Elitesoldat der Bundeswehr bundesweit für den Tag X mobilisierte. In: Meisner, Matthias; Kleffner, Heike 2019: Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Verlag Herder GmbH Freiburg im Breisgau, S. 248). Es wird von „Todeslisten“ gesprochen, auf denen rund 25.000 Personen verzeichnet sind. Als Zeugen werden außerdem Wohnungen und Büros von Horst Schelski und Marko Groß durchsucht, sowie von Malermeister Axel Moll und dem Versicherungsvertreter und Gruppenführer der Reservistenkompanie Jörg Scholze. Sie alle nahmen an gemeinsamen Schießtrainings im Reservistenverband unter der Führung von Horst Schelski teil – und hatten damit auch Zugang zu Waffen und dem Wissen um deren Handhabe. Nicht nur Horst Schelski bestellte Bücher beim Thule-Seminar, auch Jörg Scholze nahm aktiv an Treffen von diesem teil. Axel Moll wird später aussagen, sie seien lediglich „besorgte Bürger“, die vorbereitet sein wollten. Marko Groß gibt nach der Razzia dem Politmagazin „Panorama“ der ARD ein Interview, lässt sein Haus und auch sein Gesicht filmen. Er beschwert sich über das rigorose Vorgehen der Ermittler:innen, erzählt vom bevorstehenden Zusammenbruch der staatlichen Ordnung und der Harmlosigkeit von Preppern. Dienstrechtliche Konsequenzen gibt es für ihn nicht.
30.08.2017: André Schmitt wird in der Lazarus Union zum „Major General CSLI and Commander in Chief of the UNITER CSLI Special Corps“ ernannt. CSLI steht für „Corps Saint Lazarus International“ – wird er damit zum Leiter eines möglichen bewaffneten Arms der international agierenden Organisation?
September 2017: Innenminister Lorenz Caffier (CDU) gründet die „Kommission zur Beleuchtung der Prepperszene in Mecklenburg-Vorpommern“ als Reaktion auf die Razzien. Mit daran beteiligt: Polizei und Verfassungsschutz. Diese wiederum werden nicht unter die Lupe genommen. Auch um organisierte Rechte geht es nicht. Die Zwischen- und Abschlussberichte werden nicht veröffentlicht. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wird ebenfalls nicht eingerichtet – sein Vorsitz würde sowieso der AfD zufallen. Auch sonst wird in Mecklenburg-Vorpommern wenig Aufklärung auf parlamentarischer Ebene geschehen. Einladungen zu Gesprächen im Innenausschuss werden sowohl vom Bundeswehr-Landeskommando, vom Bundeswehrverband als auch vom Reservistenverband Mecklenburg-Vorpommern abgelehnt. Das mecklenburg-vorpommersche Militär scheint einfach nicht drüber reden zu wollen.
Währenddessen wird André Schmitt vom BKA vernommen und zu den Safe-Häusern, Waffendepots und Umsturzplänen der Chatgruppen befragt. Er gibt an, es habe sich um Planspiele gehandelt. Auch André Schmitts Haus, das Haus seiner Eltern und sein Dienstort, die Kaserne in Calw, werden durchsucht. Sie finden nichts Auffälliges. Kurze Zeit später meldet sich sein Vorgesetzter vom BKA. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass Schmitt sich bei den Kameraden mit der rechtzeitigen Beseitigung alles Problematischen gebrüstet habe, auch ein Laptop sei verschwunden. Die Hinweise verdichten sich, dass André Schmitt im Vorfeld der Razzia gewarnt wurde. Die Ermittler:innen fragen sich, ob er auch Waffen von Franco Albrecht aus der Kaserne in Calw weggeschafft haben könnte. Trotz wahrscheinlicher Vorwarnungen werden bei André Schmitt zuhause in Sindelfingen und im Haus seiner Eltern in Halle an der Saale gefunden: zwei Handvoll Patronen, Nebel- und Signalgranaten sowie Zünder für Handgranaten – alles illegal im Besitz von André Schmitt. Einige Monate später wird die Bundeswehr ihm deswegen die Dienstausübung versagen, also ein sogenanntes „Uniformtrageverbot“ aussprechen.
Peter W. rückt in den Fokus der Behörden, ein Mitarbeiter des MAD, Fun Fact: Zum 1. August 2017, also rund einen Monat zuvor, wurde der MAD reformiert, offiziell aus der militärischen Organisation herausgelöst und gänzlich dem Bundesministerium für Verteidigung unterstellt. Ein Ziel der Reform: die Berichtspflicht dem Parlament gegenüber und damit eine bessere Kontrolle der Institution. Peter W. ist beim MAD für die Kontrolle des KSK zuständig, dem er einst als Elitesoldat angehörte, sowie für die Überprüfung des Vereins Uniter e. V. und der Verbindungen zum Fall Franco Albrecht. Peter W. trifft sich regelmäßig mit André Schmitt – auch zwei Tage vor der geplanten Razzia.
ebenfalls 2017: Auch gegen den Chatgruppen-Admin Robert P. wird ermittelt. Es kommt nicht zu einer Anklageerhebung. Im Jahr 2018 wird er außerdem als Auskunftsperson vom MAD befragt werden.
27.01.2018: Haik Jaeger wird als Stellvertreter des Landesfachausschusses „Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz” der AfD Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Das parteiinterne Gremium soll Grundsatzpapiere zur Inneren Sicherheit erstellen. Außerdem wird Haik Jaeger bei Holger Arppe für Recherche-Tätigkeiten in Teilzeit angestellt. Holger Arppe ist mittlerweile aus der AfD ausgeschlossen, da er sich in privaten Chatgruppen pädophil, volksverhetzend und kannibalistisch äußerte und damit ein Strafverfahren auf sich zog.
April 2018: Im Rahmen von Recherchen schreibt die taz André Schmitt eine E-Mail mit Fragen zum Verein Uniter. André Schmitt antwortet, er werde den MAD einschalten, sollte die taz ihn erneut belästigen. Ist der MAD nicht eigentlich dafür da, Soldat:innen und nicht die Presse im Auge zu behalten?
22.04.2018, Razzia 2: weitere Hausdurchsuchungen bei insgesamt sieben Nordkreuz-Mitgliedern. Sie alle gelten als Zeugen und nicht als Tatverdächtige. Darunter: AfD-Landtagsabgeordneter Holger Arppe und Marko Groß. Marko Groß ist Nordkreuz-Gründer, SEK-Polizist und seit 2015 aufgrund von Krankheit vom Dienst freigestellt. Gegenüber Ermittler:innen gibt Marko Groß an, die Nordkreuz-Gruppe bestehe aus rund 30 Mitgliedern, spätere Recherchen zeigen, dass 12 davon auch Mitglieder bei Uniter sind. Fast alle von ihnen Polizisten, Soldaten, Jäger, Sportschützen – und damit legal bewaffnet. Auch bei Marko Groß wird im Rahmen der Razzia ein umfangreiches Waffenarsenal gefunden, teils ohne entsprechende Genehmigung, teils nicht korrekt gelagert. Insgesamt ist von rund 10.000 Schuss und einer Maschinenpistole die Rede. Ermittlungen und ein Disziplinarverfahren werden eingeleitet.
Juni 2018: Die Bundesanwaltschaft hatte Anklage gegen Franco Albrecht erhoben. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entscheidet jedoch, die Klage abzuweisen – trotz ausführlicher Beweislage bestehe kein hinreichender Tatverdacht auf die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Das Verfahren soll eine Instanz runter und vom Landgericht Darmstadt geführt werden – dort dann lediglich wegen Täuschung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und wegen Waffendiebstahls. Die Generalbundesanwaltschaft legt daraufhin Beschwerde beim Bundesgerichtshof ein.
Zeitgleich: Während Uniter e. V. mittlerweile mehr als suspekt geworden ist, engagiert der DFB Uniter-Funktionäre für die Weltmeisterschaft im Männerfußball in Russland: Beim Personenschützer von Mesut Özil und Sami Khedira handelt es sich um Marc Z., ehemaliger Fallschirmjäger der Bundeswehr aus dem selben Bataillon wie André Schmitt und nach wie vor aktives Uniter-Mitglied mit Leitungsaufgaben. Marc. Z. ist bei Uniter u. a. zuständig für die Leitung des District West und die Organisation von Veranstaltungen, außerdem Mitglied der vereinsinternen Verteidigungseinheit „Defense Corps“. Ein bedeutendes Mitglied des Vereins, der in Verdacht steht, an rechten Umsturzplänen beteiligt zu sein, beschützt also ausgerechnet den Spieler, der deutsche Nationalist:innen am meisten erzürnt. Nur einen Monat vorher erschien ein Foto, dass die beiden Nationalspieler Mesut Özil und İlkay Gündoğan in freundschaftlicher Geste mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigt und damit für heftige Kritik und rassistische Anfeindungen sorgte. Auch Björn B. und Marco D’Arcangelo sind oder waren Mitglieder bei Uniter e. V. Marco D’Arcangelo war Mitglied der von André Schmitt ins Leben gerufenen Chatgruppen und ist nach wie vor Leiter des Distrikts Süd bei Uniter. Björn B. ist mittlerweile bei Uniter ausgetreten, ihm gehören ein Fitnessstudio im nordrhein-westfälischen Kreis Borken und ein Sicherheitsunternehmen, über die Marco D’Arcangelo und Marc Z. angestellt sind. Genau dieses Unternehmen kooperiert mit dem DFB. Im Rahmen der taz-Recherchen erklärt sich Marc Z. zu einem Gespräch bereit. Kurz danach erhält die taz eine Mail von Uniter: Marc Z. werde den Kontakt zur taz abbrechen und widerspreche ausdrücklich jeder Zitierung. Der Arbeitgeber von Marc Z., Björn B., werde außerdem juristisch gegen die taz vorgehen. Der DFB wiederum stört sich nicht an alledem. Es habe behördliche Zuverlässigkeitsüberprüfungen gegeben und Björn. B. habe sich immer wieder zu den Werten des DFB bekannt. Generell stünden alle Mitarbeiter für die verbindenden Werte. Was für Werte sollen das denn bitte sein?
30.06.2018: Im baden-württembergischen Mosbach findet eine von Uniter ausgerichtete Gefechtsausbildung statt. André Schmitt ist als Anleiter mit dabei. Später wird er aussagen, es habe sich dabei um einen „Reaktionsschießlehrgang“ gehandelt, um die Medical Response Unit von Uniter in ihren Einsätzen ggf. schützen zu können. Uniter-interne Ausbildungspläne klingen hingegen anders. Dort wird von Nahkampftraining, Häuserkampftraining und Umgang mit Hinterhalten gesprochen. Die letzte Ausbildungsstufe nennt sich „Combat Ready“ also „kampfbereit“. Als der Betreiber des Übungsplatzes in Mosbach später von der Art der Trainings erfährt, kündigt er die Zusammenarbeit mit Uniter e. V. auf und informiert das Landesinnenministerium.
September 2018: in ehemaliges Uniter-Mitglied, kurz T. genannt, meldet sich beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern. Er trifft sich fortan regelmäßig mit einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, versorgt diesen mit Informationen zu Uniter, Namenslisten und Dateien und erhält im Gegenzug etwas Geld. Doch mit den Informationen passiert nichts. Später wird er sich aus Misstrauen gegenüber dem Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern auch an den Bundesverfassungsschutz wenden. Auch dort werden die Informationen monatelang liegen, ohne dass spürbar etwas passiert.
2018: Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern Lorenz Caffier (CDU) kauft beim Schießplatzbetreiber in Güstrow eine Kurzwaffe. Der Betreiber Frank Thiel ist, bzw. war Mitglied bei Nordkreuz. Lorenz Caffier wird diesen Kauf sehr lange verheimlichen.
Februar 2019: Recherchen der taz zufolge plant der Verein Uniter e. V. eine Kooperation mit dem autokratischen Machthaber der Philippinen, Rodrigo Duterte. Philippinische Soldaten und Polizisten sollen militärtaktische Trainings erhalten, Treffen zwischen Mitgliedern von Uniter e. V. und philippinischen Staatsbediensteten haben bereits stattgefunden. Duterte bezeichnet sich selbst als Diktator. International steht er vor allem für massive Menschenrechtsverletzungen und die polizeiliche Anweisung, Drogenkriminelle ohne Gerichtsprozess zu erschießen.
ebenfalls Februar 2019: Das Bundesamt für Verfassungsschutz legt dem Innenausschuss im Bundestag eine Warnung vor. Es gebe einen neuen Typ ‚rechtsextremer‘ Männer mittleren Alters, lose organisiert, Einzelpersonen, agitiert über einzelne sie bewegende Themen – ohne Anhaltspunkte, nachrichtendienstlich zu ermitteln. Die klassischen „Lone Wolf“-Täter („Einsamer Wolf“).
März 2019: Peter W. wird aufgrund mangelnder Beweise vom Amtsgericht Köln von der Anklage des Geheimnisverrats freigesprochen. Auch wenn belegt ist, dass er mit André Schmitt im Vorfeld der Razzia in der Calwer Kaserne Kontakt hatte, kann ihm nicht nachgewiesen werden, dass es bei dem Treffen um die Razzia selbst ging oder dass Peter W. überhaupt von der Razzia wusste. Peter W. gibt an, erst im Nachhinein von André Schmitt über die Razzia unterrichtet worden zu sein, er selbst habe eine diskrete Befragung in der Kaserne in Calw organisiert. Die Staatsanwaltschaft legt Revision ein. Was jedoch im Prozess öffentlich geklärt wird: André Schmitt wurde während der Ermittlungen gegen Peter W. offiziell zur Auskunftsperson des MAD.
18.03.2019: Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) veranlasst die Versetzung von Ringo Mitera. Dieser wird zukünftig nicht mehr beim Verfassungsschutz in Baden-Württemberg tätig sein, aber dennoch weiter als Beamter für das Land arbeiten. Thomas Strobl spricht von einem „Störgefühl“ in Bezug auf den Verein Uniter und wendet sich an Horst Seehofer (CSU) mit der Bitte, den Verein mit Mitteln des Bundes zu überprüfen.
April 2019: Es gibt Hinweise darauf, dass Uniter einen Umzug in die Schweiz plant, vielleicht, um Ermittlungen oder gar einem Vereinsverbot zuvor zu kommen. André Schmitt ist mittlerweile nicht mehr im Vorstand von Uniter, dieser besteht nunmehr aus zwei Schweizern aus Zug und Luzern. Gemeinsam mit den beiden bildet André Schmitt nach wie vor das Präsidium von Uniter e. V.
12.06.2019, Razzia 3: erneute Razzia in Mecklenburg-Vorpommern, bei der vier aktive und ehemalige SEK-Beamte durchsucht werden. Der Verdacht: Sie sollen seit 2012 Munition v. a. von Frank Thiels Schießplatz in Güstrow entwendet und sie Marko Groß zur Verfügung gestellt haben, dem Administrator und Munitionssammler der Nordkreuz-Chatgruppe. Doch auch Munition aus Beständen der Innenministerien in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen sowie des Bundesverteidigungsministeriums ist dabei, auch das LKA Erfurt steht zwischenzeitlich in Verdacht, Munition ‚verloren‘ zu haben. Die Herkunft weiterer Tausender Schuss Behördenmunition konnte bis heute nicht ermittelt werden. Bei Marko Groß werden insgesamt mehr als 55.000 Schuss Munition, eine Maschinenpistole und ein Schalldämpfer beschlagnahmt. Praktisch überall werden Waffen bei ihm gefunden: Im Gewächshaus, im Auto, auf dem Küchenschrank, im Flur, im Arbeitszimmer. Auch eine Bestellliste taucht bei ihm auf, darauf stehen unter anderem 200 Leichensäcke und Löschkalk. Löschkalk wird beim Vergraben von Leichen verwendet, um deren Verwesungsprozess zu beschleunigen. Marko Groß und ein weiterer SEK-Polizist werden in Untersuchungshaft verbracht. Bei der Razzia wird deutlich: Das Schweriner LKA ist den Empfehlungen des BKA, vorliegende Informationen weiterzuleiten, nicht nachgekommen. Dem LKA Mecklenburg-Vorpommern lagen die mutmaßlichen Nordkreuz-Todeslisten seit der ersten Razzia 2017 vor – dieses hatte aber bis dahin keine:n der Betroffenen über eine mögliche Gefahr informiert. Das BKA wiederum erklärt den Bundestagsabgeordneten im Innenausschuss, dass die bei Marko Groß, Jan-Hendrik Hammer, Haik Jaeger und Co. gefundenen Listen keine „Todeslisten“ sein könnten – schließlich finde sich keine derartige Überschrift.
Juli 2019: Als Reaktion auf die Razzien, die die Ermittler:innen u. a. zum Schießplatz in Güstrow führen, wird dem Schießplatzbetreiber Frank Thiel die Zusammenarbeit im Rahmen der Polizeiausbildung aufgekündigt. Sein Unternehmen Baltic Shooters organisiert in Güstrow jährlich in Kooperation mit großen Rüstungskonzernen 3-tägige-Schießtreffen für Spezialkräfte aus Deutschland, den USA und Österreich. Auch Frank Thiel ist Mitglied bei Nordkreuz. Er verkaufte mehrere Waffen an andere Nordkreuz-Mitglieder, bildet sie im Schießen aus. Auch Marko Groß lernte bei ihm und leitete später Trainings auf seinem Schießplatz an. Schirmherr der jährlichen Schießveranstaltung: Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident Lorenz Caffier (CDU) höchstpersönlich. Er soll sich bei Frank Thiel ausbilden lassen und 2018 eine Kurzwaffe gekauft haben. Auch er ist Mitglied im Reservistenverband Mecklenburg-Vorpommern. Seit 2017 sind die Netzwerke bekannt, in die Frank Thiel verstrickt ist. Die Kooperation mit ihm und seinem Schießstand für die Polizeiausbildung wird aber erst jetzt beendet.
08.09.2019: Tag der offenen Tür im Bundestag. Wer spaziert durch die Gänge, schaut sich die Stände an und wird nicht mal von der Bundespolizei erkannt? Franco Albrecht. Erst Maximilian Tischer soll ihn erkannt und gemeldet haben. Auch bei linken Gruppen in Berlin soll Franco Albrecht aufgetaucht sein.
21.09.2019: Das Amtsgericht Böblingen verfügt einen Strafbefehl gegen André Schmitt. Er soll 120 Tagessätze Geldstrafe wegen Verstoß gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz zahlen. Strafbefehle sind dazu da, weniger schwere Vorwürfe im vereinfachten Verfahren ohne mündliche Verhandlung abzuarbeiten. Grundlage für den Strafbefehl gegen André Schmitt sind die bei der Razzia im September 2017 gefundenen Patronen, Nebel- und Signalgranaten und die Kiste mit Zündern für Handgranaten, illegal aus Bundeswehrbeständen entwendet. André Schmitt legt Einspruch ein.
Ende September 2019: André Schmitt wird auf eigenen Wunsch aus dem Militärdienst entlassen. Ein berufliches Disziplinarverfahren gegen ihn ist noch anhängig. Auch Franco Albrecht-Komplize Mathias Flöhr muss sich vor Gericht verantworten. Letztendlich kann ihm trotz diverser rassistischer und antisemitischer Aussagen in Chatgruppen mit Franco Albrecht nur der illegale Waffenbesitz nachgewiesen werden. Er wird zu einem Jahr Haftstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, und 2500 € Geldstrafe verurteilt; das Geld ist an eine Organisation der Geflüchtetenhilfe zu zahlen. Franco Albrecht ist weiterhin auf freiem Fuß, die Verfahren gegen ihn hängen noch immer in der Schwebe. Maximilian Tischer, einst Mitglied der Chatgruppe „Ost“ und verdächtigt, Franco Albrecht gedeckt und mit ihm gemeinsam Informationen zu Anschlagszielen gesammelt zu haben, arbeitet weiterhin bei der Bundeswehr. Er ist Mitglied der Jungen Alternative und der AfD – außerdem Mitarbeiter im Büro des hessischen Bundestagsabgeordneten Jan Nolte (AfD). Dieser gehört dem völkischen Flügel der Partei an, ist Soldat auf Zeit und sitzt im Verteidigungsausschuss – also genau dem Gremium, das sensible Informationen zu Uniter, dem Fall Franco Albrecht und damit einhergehend zu seinem eigenen Mitarbeiter bearbeitet. Die Bundeswehr als sein Hauptarbeitgeber hätte ihm diese Nebentätigkeit nicht genehmigen müssen. Sie hat es dennoch getan – obwohl Verfassungsschutz und MAD Maximilian Tischer mittlerweile offiziell als ‚Rechtsextremisten‘ führen.
Herbst 2019: Das Finanzamt Stuttgart erkennt Uniter e. V. die Gemeinnützigkeit ab, damit können Spenden an den Verein nicht länger steuerlich geltend gemacht werden. Uniter e. V. geht nicht gegen diese Entscheidung vor, der Umzug in die Schweiz steht ohnehin bevor, dort sei die Gemeinnützigkeit bereits anerkannt worden.
20.11.2019: Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheidet, dass hinreichend Verdachtsmomente vorliegen, ein Verfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gegen Franco Albrecht zu eröffnen. Es weist das Oberlandesgericht an, eine Verhandlung anzuberaumen und durchzuführen.
Am selben Tag beginnt vor dem Landgericht Schwerin der Prozess gegen den ehemaligen SEK-Polizisten und Nordkreuz-Administrator Marko Groß. Die Staatsanwältin braucht 42 Minuten, um nur die Liste seines Waffenarsenals vorzutragen. Mit dabei: eine 1993 gestohlene Maschinenpistole, Pistolen, Gewehre, Vollmantelgeschosse, Doppelkerngeschosse, eine Streitaxt, vier Messer, drei Teleskopschlagstöcke und 55.000 Schuss Munition. Er wird wegen Verstößen gegen das Waffengesetz, das Sprengstoffgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz angeklagt, die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Marko Groß‘ politische Haltung und seine Verstrickungen in die Netzwerke von André Schmitt sind nicht Teil des Prozesses. Marko Groß gilt zwar als Mitglied und Administrator der Chatgruppen Nordkreuz und Nord Com, die Ermittlungen wegen Terrorverdachts richten sich aber vor allem gegen Haik Jaeger und Jan-Hendrik Hammer. Die Verteidigung widerspricht der Staatsanwaltschaft: Marko Groß habe keine Waffen für eine politische Gruppe besorgt, sondern einfach privat und beruflich viel mit Waffen zu tun – dabei seien die Grenzen zwischen legal und illegal etwas verschwommen. Sie plädiert für eine Freiheitsstrafe deutlich unter zwei Jahren und deren Aussetzung zur Bewährung. Marko Groß gibt an, seine Taten zu bereuen und sich seiner Verantwortung zu stellen, die Chatgruppen seien aber stets unpolitisch gewesen – rechte oder nationale Tendenzen habe er nicht festgestellt.
24.11.2019: Eine unabhängige Kommission stellt ihren Bericht im Schweriner Landtag vor und stellt fest, dass es in einer SEK-Gruppe rund um Marko Groß jahrelang ‚rechtsextreme‘ Polizist:innen gegeben habe und diese nicht aufgefallen, bzw. nicht angegangen worden seien. Außerdem beanstandet die unabhängige Kommission die Ausbildung der SEK-Einheiten durch Frank Thiel auf dem Schießplatz in Güstrow. Die Ausbildung von Polizeieinheiten müsse Polizeisache sein, eine Privatperson dürfe keine Einblicke in polizeiliche Interna erlangen. Die Kommission merkt außerdem an, dass Polizist*innen sich scheuten, Vorfälle zu melden. Meldeten sie es doch, werde das ignoriert. Im Bericht werden strukturelle Probleme analysiert und Maßnahmen entwickelt. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) stuft ihn als geheim ein, kaum jemand kann das also nachlesen. Der LKA-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, Ingolf Mager, wird als Reaktion auf den Bericht von seinem Posten entlassen. Er wechselt zum Verfassungsschutz. Arbeitsgebiet: ‚Rechtsextremismus‘. Auch der Leiter der Polizeiabteilung des Innenministeriums, Frank Niehörster, wird von Lorenz Caffier (CDU) versetzt. Lorenz Caffier kündigt außerdem Reformen an: Die Spezialeinheiten sollen fortan nicht mehr dem LKA, sondern der Bereitschaftspolizei unterstehen. Außerdem sollen an der Bewerberauswahl wieder Psycholog:innen beteiligt werden, wegen personeller Engpässe wurde diese Praxis vorher z. T. ausgesetzt. Es sollen auch mehr Frauen eingesetzt werden, um klassischen Dynamiken in Männergruppen etwas entgegenzusetzen – oder anders formuliert: Die Männerbünde der Leitungsgremien sehen sich offensichtlich nicht in der Lage, die Männerbünde ihres Personals unter Kontrolle zu halten. Na wer da als Frau nicht gleich Lust auf den gehobenen Polizeidienst bekommt…
November 2019: Auch beim Rostocker Wasserschutzpolizisten Sven J. werden Patronen und Waffen gefunden, die gegen das Kriegswaffengesetz verstoßen. Die Ermittler:innen waren auf ihn aufmerksam geworden, da er in Kontakt mit Nordkreuzgründer Marko Groß stand. Sven J. war im Rahmen seiner Arbeit auch in Sachen Polizeiausbildung in Afghanistan und bei Frontex-Missionen in Südeuropa, unter anderem auf der für das Elend der Geflüchteten bekannten Insel Samos, eingesetzt – neben bereits starken griechisch-nationalistischen Gruppen ein weiterer Nazi dort.
Dezember 2019: Recherchen ergeben, dass ein Dozent der Brandenburger Polizeihochschule, Ulf Steinert, zugleich Leitungsperson des Ost-Distrikts von Uniter ist. Die Hochschule sieht keine Handhabe gegen den Dozenten – obwohl er u. a. nachweislich an Reaktionsschießtrainings von Uniter in Heilbronn teilgenommen hatte. Nach langem Zögern verlässt Ulf Steinert Uniter.
Gleichzeitig kommt auch der Fall Robert Möritz (CDU) ans Tageslicht: Der CDU-Kommunalpolitiker in Sachsen-Anhalt zeigte auf seinem Twitter-Profilbild das Uniter-Emblem. Es stellt sich heraus, dass er Mitglied bei Uniter ist, ein Tattoo der von der SS als Symbol genutzten schwarzen Sonne trägt, 2011 als Ordner bei einer Naziversammlung tätig gewesen ist und 2014 ein Rechtsrockkonzert besucht hat. Es hagelt heftige Kritik der Grünen an der Personalie Robert Möritz, die Kenia-Koalition droht zu zerbrechen. Annegret Kramp-Karrenbauer, Wolfgang Schäuble und viele andere äußern sich, Folgen für Möritz hat das nicht. Aufgrund der bundesweiten Debatte und dem drohenden Bruch der Koalition tritt Robert Möritz zum Ende des Jahres schließlich selbst von allen politischen Ämtern zurück und aus Uniter aus. SPD und Grüne fordern die CDU daraufhin auf, ihre Position zu Neonazis in der eigenen Partei zu klären – der CDU-Kreisverband Anhalt-Bitterfeld hatte Robert Möritz bis zuletzt unterstützt.
19.12.2019: Der Prozess gegen Marko Groß wird beendet. Unter dem Vorsitz von Richter Henning Sauer wird Marko Groß zu einem Jahr und neun Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Marko Groß und seine Anhänger:innen jubeln. Das Gericht stellt fest, Marko Groß habe massiv Waffen und Munition gehortet. Einen Großteil dessen habe er aber legal erworben und nur unsachgemäß gelagert. Dass Marko Groß auch nach mehreren Razzien noch legal Munition erwerben konnte, lag auch daran, dass sich niemand verantwortlich fühlte, ihm die Berechtigung zu entziehen. Das wiederum fällt erst im Laufe des Verfahrens auf. Insgesamt stellt das Gericht fest, dass Marko Groß Munition und Waffen aus 7 Bundesländern von Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll besaß. Woher all diese Munition kam, ob er sie allein organisierte oder Helfer:innen hatte – all das sei schwerlich nachzuverfolgen. Angesprochen auf die gestohlene Maschinenpistole von 1993 hatte Marko Groß angegeben, diese nach einer Waffenmesse in Kassel auf einem Parkplatz gekauft zu haben. Überprüft wird das nicht, auch weil keine zu der Waffe passende Munition gefunden werden konnte. Auch die Äußerungen von Marko Groß zur geplanten Bestellung von Leichensäcken und Löschkalk werden nicht weiter hinterfragt: Die Leichensäcke seien zum Schutz von Schlafsäcken gedacht gewesen, der Löschkalk zum Bau von Latrinen. Wie immer alles ganz harmlos. Zur rechtsextremistisch eingestuften Chatgruppe „Vier gewinnt“, deren Mitglieder beim Treffen am Stehimbiss über „Tag X“ und die Hinrichtung politischer Gegner:innen gemauschelt haben sollen, wird Marko Groß gar nicht erst befragt. Das milde Urteil begründet Richter Henning Sauer damit, dass Marko Groß sich kooperativ gezeigt habe, die Waffen nicht zum Einsatz gekommen seien und die Gruppe Nordkreuz Buch darüber geführt habe, wer Geld eingezahlt und welche Waffen erworben worden seien – wer Illegales vorhabe, hätte das ja sicherlich nicht so präzise dokumentiert. Außerdem argumentiert der Richter, dass Marko Groß im Vorfeld von den Medien vorverurteilt worden sei, das Gericht aber die Aufgabe habe, eine unabhängige Entscheidung zu treffen. Auch die Nazibilder in Chatgruppen werden Marko Groß nicht zur Last gelegt, diese seien von der Tat des illegalen Waffensammelns zu trennen, hätten also vor Gericht keine Relevanz. Auch wurde ihm positiv zuerkannt, dass er nach der ersten Razzia weniger Waffen (!) gehortet hatte. Ein angeblich vollumfängliches Geständnis und die Kooperation während der Razzien werden ihm angerechnet, dabei gab er nicht einmal an, woher er all die Munition und Waffen hatte. Lediglich Marko Groß‘ Waffenbegeisterung, die bis zum Schluss spürbar gewesen sei, wird zu seinen Lasten ausgelegt. Dennoch werden seine Taten als einmalige Verfehlung gewertet – immerhin habe er ja auch keine besonders schweren Kriegswaffen wie Flugzeuge, Panzer oder Schiffe besessen. Nach dem erstinstanzlichen Freispruch von Peter W. im März ist dieses Urteil das erste des Nordkreuz-/Hannibal-Komplexes und liest sich wie die Anleitung für terroristische Gruppen: Buch führen über die Ausgaben, dann können sie nicht illegal sein, es in den Chatgruppen nicht übertreiben und wenn es mal bei euch eine Razzia gibt, hört danach bloß nicht auf, das würde ja wie ein Schuldgeständnis wirken, sondern macht einfach ein bisschen weniger doll weiter, dann wird das vor Gericht als positive Entwicklung gewertet. Was für eine Farce.
22.01.2020: Das Verfahren gegen André Schmitt wird eröffnet, das Ergebnis der Durchsuchungen in Calw, Sindelfingen und Halle erörtert. André Schmitt erscheint auf Anraten seines Anwalts nicht persönlich.
03.02.2020: Binnen zweier Verhandlungstage kommt das Böblinger Amtsgericht zu einem Urteil gegen André Schmitt wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz. Wie bereits im Strafbefehl festgesetzt, soll André Schmitt 120 Tagessätze à 15 € Strafe zahlen, insgesamt also 1800 €. Damit einher geht auch der Verlust des Waffenscheins und die Erlaubnis, ein Sicherheitsgewerbe zu führen. Am zweiten Verhandlungstag wird deutlich, dass André Schmitt während der Befragung durch das BKA gelogen haben muss. Damals hatte er gesagt, die Kisten mit Granatenteilen im Keller seiner Eltern seien wohl schon seit zehn Jahren dort gewesen. Der zuständige BKA-Ermittler sagte vor Gericht jedoch aus, dass der gesamte Keller staubig gewesen sei, nur diese Kiste und die Patronen nicht. Auch André Schmitts Mutter reagierte verwundert und gab an, die Kiste sei vorher nicht da gewesen. Die Losnummern der Munition waren zerkratzt, bis heute sei sie nicht eindeutig identifiziert worden, deswegen thematisiert das Gericht auch nicht, von wo und wie diese dorthin gekommen sind. Das Gericht sieht die Schuld André Schmitts bzgl. des Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz dennoch als erwiesen: „Ich lege das hier hin und interessiere mich dafür nicht mehr, das funktioniert bei Sprengmitteln nicht.“, so der zuständige Richter (https://taz.de/Prozess-nach-Kellerfund/!5661843/). André Schmitts Anwalt kündigt an, gegen das Urteil vorzugehen.
04.02.2020: Erneut wird André Schmitts Wohnung durchsucht. Auch in anderen Bundesländern sind Polizist:innen im Einsatz, durchsucht werden die Wohnungen der Männer, die im Sommer 2018 am paramilitärischen Uniter-Schießtraining in Mosbach teilgenommen haben sollen. Die Ermittler:innen halten besonders nach Softairwaffen Ausschau, finden solche auch. Außerdem werden 27 leere Magazine scharfer Munition bei André Schmitt gefunden. Softairwaffen dürfen legal erworben und privat geschossen werden. Beim Tragen in der Öffentlichkeit fallen sie aber unter das allgemeine Waffengesetz – und dürfen damit ohne Genehmigung des Geländebetreibers nicht verwendet werden. André Schmitt hingegen geht davon aus, dass die Ermittler:innen einfach einen Grund gesucht haben, um bei ihm reinzukommen – und auf Zufallsfunde hofften.
Februar 2020: Der Verfassungsschutz erklärt Uniter e. V. zum Prüffall. Uniter heuchelt öffentlich Genugtuung: Nur so könne einwandfrei geklärt werden, dass der Verein keine Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung hege.
28.02.2020: Maximilian Tischer geht gerichtlich gegen einen Text der taz vor, in dem diese berichtet, dass im Zusammenhang mit Franco Albrecht gegen ihn ermittelt wurde, er in Untersuchungshaft und Mitglied in Prepper-Chatgruppen war. Das Oberlandesgericht Köln weist seinen Antrag auf einstweilige Verfügung zurück, der Text darf so stehen bleiben.
März 2020: Ringo Mitera arbeitet mittlerweile nachweislich bei der Kriminalpolizei in Baden-Württemberg.
Währenddessen gelingt es 5 Uniter-Mitgliedern, unter anderem Distrikt-Leiter Süd, Marco D’Arcangelo, sich bei einem streng geheimen Symposium des KSK in der Franz-Joseph-Strauß-Kaserne in Altensteig/Baden-Württemberg einzuschleichen. Dort nimmt Marco D’Arcangelo sogar an internen Vorträgen teil. Sie geben sich als Vertreter eines Sicherheitsunternehmens (wieder BDB Protection?) aus.
Mai 2020: Die Brandenburger Polizei leitet interne Ermittlungen gegen zwei Kollegen aus Potsdam ein. Sie hätten polizeiliche Datenbanken für eigene Zwecke aufgerufen. Sie sind Mitglieder von Uniter.
Auf die Häuser des Informanten T. und des SPD-Abgeordneten Dirk Friedriszik (SPD) wird geschossen – der ehemalige Soldat und Mitglied im Innenausschuss des Landtags Mecklenburg-Vorpommern engagiert sich für Aufklärung bezüglich der Nordkreuz-Gruppe.
Juni 2020: Der Prozess gegen Franco Albrecht wird nicht vor September beginnen können, da das Oberlandesgericht Frankfurt am Main unter anderem wegen des Verfahrens gegen den Mörder von Walter Lübcke, Stephan Ernst, und coronabedingten Ausfällen von Richter:innen voll ausgelastet ist.
Uniter e. V. wird vom Verfassungsschutz nun nicht mehr als Prüffall geführt, sondern als Verdachtsfall, der Verfassungsschutz bekommt damit mehr Befugnisse. Uniter gilt offiziell noch immer nicht als ‚extremistisch‘, doch als eine der „Organisationen […], die nicht eindeutig extremistisch sind, bei denen aber hinreichend gewichtige „tatsächliche Anhaltspunkte“ für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG)“ .
Währenddessen ergibt eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag, dass der Zoll weiterhin sein Personal auf Frank Thiels Schießplatz in Güstrow trainieren lässt. Die Generalzolldirektion betont, dass der Platz zwar angemietet, das Training aber durch eigene Ausbilder gewährleistet sei.
In Sachsen-Anhalt sorgt derweil Kai Mehliß (CDU) für Schlagzeilen. Er gehört einem Stadtvorstand der CDU an, ist Reserveoffizier – und Uniter-Mitglied. In Chatgruppen soll er mit rechten Preppern aus Leipzig vernetzt gewesen sein und sie u. a. mit „Sieg heil, Herr Hauptmann!“ gegrüßt haben. Der CDU-Landesvorstand leitet ein Ausschlussverfahren ein.
01.07.2020: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kündigt an, dass das KSK vorerst nicht mehr an Übungen und internationalen Einsätzen teilnehmen werde. Die KSK-Kompanie, bei der unter anderem André Schmitt stationiert war, soll komplett aufgelöst und deren Soldat:innen auf andere Kompanien verteilt werden.
Juli 2020: Die Ermittlungen wegen der Schüsse auf die Häuser von Dirk Friedriszik und T. werden eingestellt. Warum, ist nicht bekannt.
Mitte September 2020: In der Presse werden Informationen veröffentlicht, wonach ein Personenschützer des Bundesamtes für Verfassungsschutz Mitglied bei Uniter sein soll. Thomas Haldenwang, Präsident des BfV, räumt ein, es sei möglich, dass sensible Informationen über Personen und geheime Aktionen an Uniter weitergegeben wurden.
Mitte Oktober 2020: Das Amtsgericht Mosbach erlässt wegen des illegalen Uniter-Schießtrainings im Sommer 2018 Strafbefehle gegen André Schmitt und fünf weitere Beteiligte. André Schmitt soll 80 Tagessätze Geldstrafe zahlen, die anderen zwischen 30 und 70. Auch hier geht es nicht um mögliche rechtsradikale Bestrebungen, sondern erneut um Verstöße gegen das Waffenrecht. Zwar hatte das Training nur mit Softairwaffen stattgefunden. Da keine Genehmigung des Geländebetreibers vorlag, wertet die Staatsanwaltschaft das Verwenden der Softairwaffen dennoch als unrechtmäßig. André Schmitts Anwalt, Björn Hering, widerspricht dem: Das Mitführen und Weitergeben von Softairwaffen an Dritte sei nicht genehmigungspflichtig. Alle Angeklagten legen Einspruch ein.
Ende Oktober 2020: Der Prozess gegen Peter W. beginnt in zweiter Instanz. Erstinstanzlich wurde der MAD-Mitarbeiter freigesprochen, da ihm eine Warnung André Schmitts bezüglich der bevorstehenden Razzia nicht nachgewiesen werden konnte. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm Geheimnisverrat vorgeworfen.
09.11.2020: André Schmitt erscheint nicht zum Prozess gegen Peter W. Er sei krank und werde ohnehin nicht aussagen. Peter W. erinnert sich daran, dass ihm André Schmitt von Kontakten ins Bundeskriminalamt berichtet habe. Könnte dort das Leck sein, das ihn vor den Razzien warnte? So oder so wird klar, dass die Staatsanwaltschaft keine neuen Erkenntnisse vorweisen kann. Sie zieht ihre Berufung zurück, damit gilt das Urteil aus erster Instanz: Peter W. ist unwiderruflich freigesprochen.
Mitte November 2020: Medienrecherchen machen öffentlich, dass Lorenz Caffier (CDU) beim möglichen rechtsradikalen und ehemaligem Nordkreuz-Mitglied Frank Thiel eine Glock-Pistole erworben und das bis heute verheimlicht hat. Bereits seit März hatte die taz versucht, hierzu eine Aussage von Lorenz Caffier zu bekommen, doch die Anfragen wurden vom Innenministerium abgetan: Lorenz Caffier habe keine Dienstwaffe erworben. Lorenz Caffier ist Jäger, er darf solch eine Pistole legal erwerben. Im November räumt Lorenz Caffier auf einer Pressekonferenz gegenüber einer taz-Journalistin schließlich den Kauf ein, tut ihn jedoch als Privatsache ab und gibt in einem späteren Interview gegenüber dem Spiegel an, dass 2018 noch keine Verdachtsmomente gegenüber Frank Thiel und seinem Unternehmen vorlagen. Er leugnet jegliche Nähe zur Gruppe Nordkreuz und äußert gegenüber dem Spiegel, dass die ersten Unterlagen zum Nordkreuz-Komplex erst 2019 in Mecklenburg-Vorpommern angekommen seien. Das ist eindeutig gelogen: Informationen zur Existenz der Gruppe Nordkreuz lagen dem LKA Mecklenburg-Vorpommern spätestens nach den ersten Razzien 2017 vor. Der LfV Mecklenburg-Vorpommern, der Lorenz Caffier untersteht, hatte bereits im März 2018 Unterlagen des BKA erhalten, darin erwähnt: Baltic Shooters, das Unternehmen von Frank Thiel.
17.11.2020: Lorenz Caffier (CDU) tritt als Innenminister zurück. Er gibt an, wegen der Waffenkauf-Affäre nicht mehr die nötige Autorität im Amt zu besitzen.
25.11.2020: Das Parlamentarische Kontrollgremium im Bundestag, das seit zwei Jahren untersucht, wie Polizisten und Soldaten sich bewaffnen und rechte Straftaten planen konnten, gibt intern einen ersten Ergebnisbericht aus. Der Bericht fällt ernüchternd aus: es gebe erhebliche Mängel bei der Aufklärung in Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr, die Nachrichtendienste wiederum müssten enger zusammenarbeiten. Laut Bericht werden nicht nur dem Verein Uniter, sondern auch André Schmitt als Person ‚rechtsextreme‘ Bestrebungen nachgesagt. Dem MAD wird ein Mangel an professioneller Distanz bescheinigt. Große Teile des Berichtes werden derzeit nicht öffentlich gemacht, da nach wie vor Ermittlungsverfahren laufen.
28.12.2020: Der Prozess gegen Franco Albrecht hat noch immer nicht begonnen, er ist nach wie vor auf freiem Fuß. Das Gericht kündigt an, dass es 2021 definitiv losgehen wird.
11.02.2021: Der Bundesgerichtshof lehnt die Revision der Staatsanwaltschaft im Fall von Marko Groß ab. Es bleibt beim Urteil vom 19.12.2019.
10.03.2021: Es kommt zur Verhandlung gegen André Schmitt aufgrund des Uniter-Schießtrainings in Mosbach im Sommer 2018. Den Strafbefehl von 80 Tagessätzen à 30€ hatte er abgelehnt. Das Amtsgericht Mosbach verurteilt André Schmitt zu 85 Tagessätzen à 30€, wegen „vorsätzlichem unerlaubten Führen von Schusswaffen“. André Schmitt selber ist nicht vor Gericht anwesen. Sein Anwalt kündigt an, gegen das Urteil juristisch vorgehen zu wollen.
Auch gegen sechs andere Teilnehmer des Trainings liegen Strafbefehle vor. Gegen zwei weitere jedoch nicht. Warum gegen diese beiden nicht ermittelt wird, hat die Staatsanwaltschaft bisher nicht öffentlich gemacht.
März/April 2021: Immer mehr Informationen zu Frank Thiels Schießplatz in Güstrow werden öffentlich bekannt. Auch bayerische und sächsische Polizeieinheiten sollen dort an Schießtrainings teilgenommen und in Munitionsklau verwickelt sein. So wird beispielsweise 17 Dresdner Polizeibeamt*innen des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) Diebstahl, Beihilfe zum Diebstahl, Verstoß gegen das Waffengesetz und Bestechlichkeit vorgeworfen. Die vier Hauptbeschuldigten, der Kommandoführer und drei Schießtrainer, stehen im Verdacht, im November 2018 rund 7000 Schuss Munition aus den Beständen des eigenen Arbeitgebers entwendet zu haben – um sie wiederum für private und unerlaubte Schießtrainings bei Frank Thiel als Bezahlung einzulösen. Das MEK wurde mittlerweile aufgelöst, die vier Hauptbeschuldigten vom Dienst befreit, alle anderen versetzt. Der Leiter des Landeskriminalamtes Sachsen, Petric Kleine, und der für Spezialeinheiten zuständige Abteilungsleiter Sven Mewes wurden mittlerweile entlassen. Ob der Fall umfassend aufgeklärt wird, bleibt abzuwarten.
Auch das Berliner SEK und BKA hatte auf dem Platz in Güstrow trainiert. Mit dabei: Bundespolizist Dennis E. aus dem Uniter-Umfeld, verantwortlich für den Personenschutz von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
All diese Affären hängen zusammen, genau genommen sind sie ein einziger großer Komplex. Hier weiterhin systematisch von Einzelfällen zu sprechen, ist absurd. Viele Fragen sind ungeklärt: Warum wurden die Ermittlungen gegen Maximilian Tischer und wegen der Schüsse auf die Häuser von T. und Dirk Friedriszik (SPD) eingestellt? Warum hat die Bundeswehr Maximilian Tischers Arbeit im Bundestag genehmigt? Was wusste der Verfassungsschutz? Ist Uniter vielleicht sogar ein Honeypot des Verfassungsschutzes, also eine bewusst gegründete Organisation, um verfassungsfeindliche Personen und Gruppierungen anzuziehen und besser kontrollieren zu können? Wer schützt hier eigentlich wen? Was wäre passiert, wenn Franco Albrechts Waffe nicht am Wiener Flughafen gefunden worden wäre? Warum urteilt Richter Henning Sauer so offensichtlich im Interesse von Marko Groß? Wieso droht André Schmitt der Presse mit dem Militärischen Abschirmdienst? Wer hat Michèle Kiesewetter umgebracht? Gibt es tatsächlich Verbindungen zwischen Uniter umd dem NSU? Der NSU hat gezeigt, dass staatliche Behörden mehr Interesse daran haben, Aufklärung zu verhindern und sich selbst zu schützen, als migrantisierten Menschen zu zeigen, dass sie gleichwertig zur Gesellschaft gehören und sie nicht nahezu folgenlos systematisch ermordet werden können. Doch wenn sich nicht mehr auseinander halten lässt, wo Geheimdienste aufhören und die Bedrohung der Demokratie anfängt, dann läuft etwas falsch. Es ist zu spät, um unzählige Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, die brennenden Häuser in Solingen, Mölln und Rostock, die Morde des NSU, und die rassistischen und antisemitischen Anschläge in Halle und Hanau zu verhindern. Wir können diese Schande, dieses Unrecht und Grauen nicht rückgängig machen, aber wir können alles daran setzen, dass so etwas nie wieder passiert, dass Menschen wie Oury Jalloh, die Familie Genç, Gürsün İnce, Gülüstan Öztürk, Bahide und Yeliz Arslan, Ayşe Yılmaz, Jana L., Kevin S., Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter, Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu und unzählige weitere, bekannt und unbekannt, die letzten sind, die von Nazis ermordet wurden. Am 9. Oktober 2020 hat die Initiative 9. Februar aus Hanau einen Redebeitrag auf der Gedenkdemo zum Jahrestag des Anschlags in Halle gehalten. Darin sagen sie: „Heute, in Deutschland 2020 – wo Nazis wieder marschieren, in Kommentarspalten hetzen, es sich in Parlamenten, in Schulen und Behörden bequem machen. Wo sich Rechte ungestört in Polizei, Bundeswehr, Behörden organisieren. Heute, wo Migration immer wieder zum Problem oder sogar zur „Mutter aller Probleme“ erklärt wird. Heute, wo antisemitisches Gedankengut immer unverschämter in der Öffentlichkeit vorgetragen wird, antisemitische Bilder und Verschwörungstheorien immer wieder herbeizitiert werden.“ – diese Chronik, dieser Text, diese Affäre zeigt, wie richtig sie mit dieser Beschreibung liegen. Aufklärung kann keine rein zivilgesellschaftliche Aufgabe sein, sie kann nicht nur auf der Straße und in Kampagnen stattfinden, sie muss auch in die Institutionen, Gerichte und Parlamente. Sie muss praktisch werden und Konsequenzen mit sich bringen. Wir schließen uns den Initiativen der Hinterblieben an, erklären uns solidarisch, fordern gemeinsam und laut: Entnazifizierung jetzt!
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Kaul, Martin; Schmidt, Christina; Erb, Sebastian; Nabert, Alexander 2019: Hannibals Netz. Wie ein Elitesoldat der Bundeswehr bundesweit für den Tag X mobilisierte. In: Meisner, Matthias; Kleffner, Heike 2019: Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Verlag Herder GmbH Freiburg im Breisgau.
Kiesel, Robert 2019: Vorbereitung auf den Tag X. Rechtsextreme Prepper in Mecklenburg-Vorpommern. In: Meisner, Matthias; Kleffner, Heike 2019: Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Verlag Herder GmbH Freiburg im Breisgau. S. 250
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https://de.wikipedia.org/wiki/Nordkreuz
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