Stellungnahme zum Lagebericht
Vor kurzem wurde der „Lagebericht zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden“ vorgestellt. Unser Fazit: Der Bericht entspricht weder wissenschaftlichen Standards noch versucht er, ein realistisches Bild der Lage zu zeichnen.
I. Mangelnde Datengrundlage
Für den Bericht wurde ein Meldeverfahren entwickelt und bundesweit vereinheitlicht. Genauer übersenden die betreffenden Behörden in einheitlichen Meldebögen dem VS Daten, der diese in Tabellen, Grafiken und abschließend als Bericht aufbereitet und mit eigenen Erkenntnissen abgleicht. Die Meldungen beziehen sich auf disziplinarrechtliche oder arbeitsrechtliche Vergehen, bei denen der Verdacht aufgekommen sei, es handele sich um „Rechtsextremisten, Reichsbürger oder Selbstverwalter“.
Verengtes Verständnis von Rechtsextremismus
Als problematisches Verhalten, das einen Verdacht rechtfertigt, gelten laut dem Bericht u.a. die Teilnahme an rechtsextremen Veranstaltungen, der Kontakt zu oder die Mitgliedschaft in rechtsextremen Vereinigungen oder offensichtlich rechtsextreme Äußerungen wie Hitlergrüße und eindeutiger Antisemitismus. Dabei ist zu beachten, dass der VS und die Behörden einer sehr verengten Definition von Rechtsextremismus folgen. Zum einen werden nur bereits (vom VS) als rechtsextreme Organisationen eingestufte als solche aufgefasst: NPD, Dritter Weg, die Rechte, die IB, seit neuerem auch die Junge Alternative (JA) und der Flügel. Reservistenverbände, Polizeigewerkschaften, Coronaleugner:innen und die AfD im Allgemeinen finden keine Erwähnung, obwohl sich hier immer wieder Überschneidungen zum extrem rechten Milieu auftun. Zum anderen fehlt eine umfassende Bestimmung aller (extrem) rechten Vergehen, die dann auch etwa Waffendelikte, Datenabfragen, Verharmlosung, Vertuschung und Untätigkeit sowie viele weitere einbezieht. Dadurch fallen einige Skandale, die zum Beispiel der Justiz zuzuordnen sind, automatisch weg, da diese häufig nicht so offensichtlich agiert. Sie bleiben dennoch nicht folgenlos.
Unwissenschaftliche Datenerhebung
Die ohnehin schon mangelhaften Daten, die aus einem nicht breit gefassten Verständnis von Rechtsextremismus resultieren, durchlaufen zudem einen mehrstufigen Filterprozess, der die Ergebnisse noch weiter reduziert. Am Ende werden also lediglich jene Fälle untersucht, die so eindeutig sind, dass selbst Polizei und VS deren rechtsradikale Einstellung nicht mehr leugnen können – wenn sie überhaupt ein Interesse daran haben sollten.
Hier ein fiktives Beispiel zur Verdeutlichung, wie dieses Filtersystem funktionieren könnte:
Ausgangslage: Beamter mit Nazigesinnung beleidigt und verprügelt einen Asylbewerber.
- Filter: Ein Beamter muss den Vorfall mitbekommen.
- Filter: Der Beamte, der es mitbekommt, muss es melden.
- Filter: Der Vorgesetzte muss die Meldung aufnehmen.
- Filter: Der Vorgesetzte muss den Fall als so gravierend einstufen, dass er ein Verfahren einleitet.
- Filter: In dem Verfahren müssen andere Beamte den Fall begutachten und feststellen, dass es wirklich so war.
- Filter: Es kommt nach den internen Ermittlungen zur Erfassung des Falls durch die Behörde und diese muss angeben, ob es eine für die Abfrage relevante Kategorie betrifft.
- Filter: Dem VS wird der Fall gemeldet.
- Filter: Der VS schaut sich den Fall an und prüft ihn.
Ende: Nach diesen vielen Stufen landet der Fall dann in der Statistik als Verdachtsfall und kann dann immer noch herausgenommen werden als „nicht bestätigt“, wenn das entsprechende Disziplinarverfahren eingestellt wird.
In dieses Raster fallen nur die auffälligsten Nazis in den Behörden: Jene, die ein Hakenkreuz tätowiert haben, das bei der ärztlichen Untersuchung auffällt, jene, die vor Zeugen den Hitlergruß machen, jene, die auf Demos oder andere Veranstaltungen von Nazis gehen und sich dabei erwischen lassen und jene, die in Chatgruppen oder im Internet unter ihrem Namen Nazipropaganda verbreiten. Der Bericht erwähnt diese Filter natürlich nicht, aber sie ergeben sich aus der Struktur, wie die Daten erhoben werden. Nicht zuletzt gleicht auch die vom VS selbsternannte, wenig transparente „Netzwerkanalyse“ einer Farce, wenn lediglich die Kontakte der Beamten zu den offensichtlich rechtsextremen Akteuren aus der eigenen Datenbank – dazu zählen etwa Jürgen Elsässer, Thorsten Heise und Martin Sellner – oder deren Verbindungen zu rechtsextremen Veranstaltungen geprüft werden. Eine umfassende Analyse gelänge nur, wenn der VS seine Rolle in den Verstrickungen offenläge.
Jede seriöse Studie würde die Begrenztheit der Aussagekraft aufgrund der verfälschenden Datenbasis benennen, problematisieren und diskutieren: Können aufgrund der bestehenden Datengrundlage überhaupt Aussagen getroffen werden? Der Lagebericht geht mit keinem einzigen Wort darauf ein, wie verfälschend und problematisch dessen Art der Erhebung ist. Dass überhaupt eine Dunkelziffer unerfasster Fälle übrigbleibt, wird nur nebenbei erwähnt, um den Anstieg der Fallzahlen im Vergleich zum letzten Bericht damit wegzuerklären, dass das Dunkelfeld bereits „aufgehellt“ worden sei. Unbeantwortet bleibt die Frage, wie die Behörden eine solche zu reduzieren gedenken. Am Ende ist bloß die geringstmögliche Zahl an Fällen in ein Verhältnis zur Gesamtzahl der jeweiligen Bediensteten gesetzt. Resultat ist das unrealistische Ergebnis von 0,5%.
II. Unzureichende Expertise und kein Aufarbeitungswille
Einzeltäterthese statt struktureller Ursachen
Auch wenn viele Initiativen Betroffener von rechtem Terror immer wieder auf die fatale Unzulänglichkeit der Einzeltäterthese hinweisen und regelrecht darum kämpfen müssen, dass ebenfalls das Netzwerk und die Struktur hinter diesen Taten untersucht werden, findet sich dieses Narrativ auch im Bericht. Das liegt neben einer traditionsreichen politischen Verharmlosung rechtspolitisch motivierter Taten auch an der Form der Datenerhebung. Nicht das Umfeld des Beamten oder der Beamtin oder allgemein die Strukturen, die die Reihe der Skandale erst ermöglichen, sind Gegenstand der Untersuchung, sondern das rein individuelle Verhalten einer Person. Wer also nur Einzelfälle erhebt und danach sucht, der wird auch nur solche finden.
Rassismus wird nicht benannt
Kein Zufall ist daher, dass der Lagebericht Rassismus als strukturelles Problem gar nicht thematisiert oder die jeweilige Rolle der einzelnen Sicherheitsbehörden als Ganze. Nur einzelne Rechtsextreme können demnach Rassisten sein. Mit dieser Falschaussage überrascht auch nicht, dass die Perspektive von Betroffenen überhaupt nicht zu Wort kommt. Dabei bliebe viel darüber zu sagen, wie wenige Betroffene sich aus Sicherheitsbedenken überhaupt an die Polizei wenden können, wie mangelhaft viele Ermittlungen auch aufgrund rassistischer Vorannahmen voranschreiten oder welch ein großes Gefahrenpotential sich hinter rechten und rassistischen Strukturen für viele Menschen verbirgt.
Keine unabhängigen Kontrollmechanismen
Das Hauptproblem bleibt: Die Behörden kontrollieren sich selbst und das nicht mal ansatzweise mit der nötigen Energie, geschweige denn Expertise. Folge davon ist, dass den rechtsextremen, antisemitischen, antiziganistischen, rassistischen Akteur:innen in den Behörden in den meisten Fällen nicht einmal eine Konsequenz droht.
Der ganze Bericht macht deutlich, dass es dem VS sowohl am Willen, als auch an der Kompetenz mangelt, sich mit dem Problem adäquat zu beschäftigen. In Anbetracht seiner umfangreichen Mittel und den unterirdischen Ergebnissen, die an die Öffentlichkeit kommuniziert werden, wird wieder einmal deutlich: Der VS ist nicht nur überflüssig, sondern auch hinderlich.
Strategisches Kleinreden des Problems
Der Lagebericht erweckt damit eher den Eindruck, Politiker:innen, Behörden und Polizeigewerkschaften nutzten diese Plattform öffentlichkeitswirksam, um das Problem von Nazis in den Behörden und von strukturellem Rassismus kleinzureden. Es geht darum, einerseits einer lästigen Pflicht nachzukommen und andererseits die Behörden vor Kritik zu schützen, indem das Problem als eins von 0,5% der Beschäftigten verfälscht wird.
Als Reaktion auf die gewaltigen Skandale der vergangenen Jahre von angeblich einzelnen Rechtsextremen in den Sicherheitsbehörden werden Maßnahmen verkündet, die fast ausschließlich im Bereich der Prävention liegen und kaum im Bereich der Detektion oder der Reaktion. Die Ironie dabei ist, dass Maßnahmen der Prävention in allen möglichen Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung von den Sicherheitsbehörden fast immer als unwirksames Mittel verunglimpft und mit Forderungen nach hartem Durchgreifen und mehr Befugnissen beantwortet werden. Beim eigenen Laden soll das wohl ausreichen. Absurde Präventionsmaßnahmen wie „Fortbildungen zur Förderung interkultureller Kompetenzen“ und eine Studie zu den „Auswirkungen von Gewalterfahrungen von Polizist:innen und deren Auswirkungen auf die Arbeitsmotivation dieser“ zeigen darüberhinaus eine krasse Verharmlosung der Ursachen und Intensität von rechtsextremer und rassistischer Gesinnung. Die Detektion beschränkt sich darauf, dass sich Leute an den VS wenden sollen, um Missstände zu melden und Reaktion ist dann der Versuch, die Beamt:innen mit zu offensichtlicher Nazigesinnung irgendwie aus dem Dienst zu entfernen – und selbst daran scheitert es schon viel zu oft.
Alles in allem entspricht der Bericht keinen wissenschaftlichen Standards, sondern folgt mit seiner Vielzahl an inhaltsleeren Tabellen und Diagrammen eher den Tricks bewusst verfälschender pseudowissenschaftlicher „Studien“. Wenn wir es nicht mit so einem wichtigen Thema zu tun hätten, könnte man sich darüber lustig machen, dass eine Behörde mit so viel Geld, Personal, Befugnissen usw. eine Arbeit auf dem Niveau einer mittelmäßigen Hausarbeit vorlegt. Im Fazit klopfen sich die Autoren dennoch mächtig auf die Schulter und behaupten, sie hätten eine „zuverlässige Datenbasis für weitere Analysen geschaffen“. Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein.
#EntnazifizierungJetzt / #DenazificationNow
Mai 2022