24.05.1968 / Bonn / Justiz
Am 24. Mai 1968 wurde das „Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz“ (EGOWiG) verabschiedet und trat im Oktober in Kraft. Es ist ein Gesetz, das die Verjährungsfristen unzähliger NS-Verbrechen veränderte und damit bestimmte NS-Gehilfen vor weiterer Strafverfolgung verschonte.
Grund dafür war die Novellierung des harmlos anmutenden § 50 Abs. 2 StGB in der Fassung des Art. 1 Ziffer 6 EGOWiG. Darin heißt es: „Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern.“
Zuvor konnten „Mordgehilfen“ oder „Teilnehmer“ ebenso wie NS-Täter zu lebenslänglicher Haft verurteilt werden. Mit dem Zusatz der Umstände persönlicher Art musste die Strafe gemildert werden, lagen persönliche Merkmale beim Mordgehilfen selbst nicht vor. Das hieß zum Beispiel, dass niedrige Beweggründe wie „Rassenhass“ nachgewiesen werden mussten, sonst galt die obligatorische Strafmilderung. Diese bedeutete eine Freiheitsstrafe von höchstens 15 Jahren. Die Folge: Viele NS-Straftaten von NS-Gehilfen waren damit auf einen Schlag rückwirkend seit dem 8. Mai 1960 verjährt. Bestraft werden konnten nur noch NS-Mörder und nicht NS-Gehilfen. Der Paragraph – ein Wolf im Schafspelz. Laufende Ermittlungen gegen NS-Täter wurden eingestellt. Das Riesenverfahren gegen Hunderte von Beschuldigten aus dem Reichssicherheitshauptamt brach in sich zusammen.
An führender Stelle war Eduard Dreher, Leiter der Strafrechtsabteilung im Bundesjustizministerium, für den Gesetzentwurf zuständig. Mit Dreher wurde ein Nazi zum Dreh- und Angelpunkt der fatalen Novellierung. In der NS-Zeit arbeitete er als Staatsanwalt am Sondergericht in Innsbruck und trug das NS-Regime aktiv mit. In mindestens zwölf Bagatellfällen hatte er die Todesstrafe beantragt, beispielsweise weil ein Arbeiter Lebensmittel gestohlen hatte. Oder er argumentierte mit der Volksschädlingsverordnung. Nach dem Krieg ermöglichte ein „Persilschein“ Dreher, in den Staatsdienst zurückzukehren. Er wurde Spitzenjurist im Bundesjustizministerium – und blieb dort, obwohl er 1958 von der Wochenschrift Democratic German Report wegen seiner NS-Tätigkeit beschuldigt wurde. Schon damals schwieg man lieber, als sich zu den eigenen fatalen Fehlern zu bekennen. (1)
Mit dieser „Kalten Verjährung“ (2), wie das Gesetz auch genannt wurde, wird klar: Die alten Nazis waren nicht verschwunden, sie bekleideten Ämter überall in der Bundesrepublik. In Verwaltung, Justiz und Parlament. Die Nazi – Juristen waren in besonders hoher Konzentration dort, wo das Recht sein Zuhause hat: Im Bundesministerium der Justiz.
(1) https://www.kj.nomos.de/fileadmin/kj/doc/2000/20003Greve_S_412.pdf
(2) https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45845443.html
Further reading:
https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-zum-katholikentag-die-spucke-im-gesicht-gottes-1.3987734
https://de.wikipedia.org/wiki/Verjährungsskandal_(1968)