30.08.2018 – 2022 / Chemnitz / Justiz
Rechte Akteure in ganz Deutschland nutzen den Tod des Chemnitzers Daniel H., der am Rande des Stadtfestes niedergestochen worden war, für rassistische Stimmungsmache. Nur vier Tage nach der Tat taucht in rechten Chatgruppen plötzlich ein Foto des Haftbefehls gegen den vermeintlichen Täter auf. Pegida-Chef Lutz Bachmann sowie Martin Kohlmann, Vorsitzender der rechtsradikalen Vereinigung Pro Chemnitz, verbreiten das Dokument.
Nur, woher haben sie es? Während darüber noch gemutmaßt wird – und gegen einige AfD-Abgeordnete, die das Dokument ebenfalls weiterverbreiteten, Ermittlungen eingeleitet werden – stellt sich der Verantwortliche plötzlich selbst: Der Dresdener Justizvollzugsbeamte Daniel Zabel räumt ein, das Dokument abfotografiert und verbreitet zu haben – nebenbei gesagt, ein Haftbefehl gegen einen Unschuldigen, wie sich bald darauf herausstellt.
Sein Geständnis gibt Zabel allerdings nicht gegenüber der Polizei ab, sondern öffentlichkeitswirksam per Bild-Zeitung. Begleitet wird er dabei von Anwalt Frank Hannig, damals bekannt als Pegida-Anwalt, heute auch die rechtliche Vertretung des mutmaßlichen Mörders von Walter Lübcke, Stephan Ernst.
Nicht nur seine öffentliche Stellungnahme über diejenige Boulevardzeitung, die wegen rechter Stimmungsmache in der Kritik steht, auch Zabels Wortwahl lassen aufhorchen: Er habe den Haftbefehl weitergegeben, weil er wolle, dass „die Wahrheit, und nur die Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit kommt“, und aus „Wut auf Politik wegen der Flüchtlingskrise“. In der rechten Szene lässt sich Zabel als Whistleblower feiern. Dass er ein Dreivierteljahr später (erfolglos) für die AfD bei den Dresdener Stadtratswahlen kandidiert, überrascht da schon kaum mehr.
Überraschend ist allerdings, was im Zuge der Ermittlungen gegen Zabel noch ans Licht kommt: Als die Polizei nicht nur Zabels Handy, sondern auch die seiner JVA-Kollegen beschlagnahmt, findet sie darauf eine zwischen den Beamten genutzte Chatgruppe. Dort sind nicht nur rassistische und extrem rechte Inhalte an der Tagesordnung – man freut sich etwa über „Kanaken klatschen“ –, sondern es finden sich auch Hinweise darauf, dass die Beamten ausländische Strafgefangene misshandelt haben. Über die daraufhin eingeleiteten Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt wird die Öffentlichkeit allerdings erst im März 2019 informiert. Am 21.08.2020 werden Daniel Zabel und fünf weitere Justizbeamte angeklagt, einen tunesischen Gefangenen in Haft gewalttätig misshandelt zu haben. Im März 2021 werden weitere Inhalte aus der Chatgruppe bekannt. Darin werden brutale Übergriffe auf Häftlinge beschrieben und verniedlicht.
Im Frühjahr 2019 kandidiert er für die AfD. Er wird in den Vorstand der sächsischen AfD gewählt. Für die Weitergabe des Haftbefehls wird Zabel im Herbst 2019 zu elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, der Prozess wegen der mutmaßlichen Misshandlungen steht noch aus – ebenso wie eine systematische Aufarbeitung dessen, was unter sächsischen Justizbeamt:innen offenbar an der Tagesordnung ist.
Im November 2020 wird bekannt, dass Zabel zwei Monate nach dem Mord an Walter Lübcke an dessen Wohnhaus aufgegriffen wurde, als er es fotografierte. Er soll nun als Zeuge im Mordprozess Walter Lübcke aussagen.
Im Juni 2022 werden Zabel und vier weitere Justizvollzugsbeamte wegen der Übergriffe auf Häftlinge zu Bewährungsstrafen verurteilt. Das Gericht war dabei bemüht, das Ausmaß und die Motivation der rassistischen Übergriffe zu deckeln. Außerdem machte sich die Länge des Verfahrens (es waren 4 Jahre bis zum Prozess vergangen) bemerkbar. So dass die Urteile milde ausfielen.
Zabel und die anderen werden wohl in Berufung gehen.
https://www.dnn.de/Dresden/Polizeiticker/Dresdner-Vollzugsbeamter-hat-Haftbefehl-veroeffentlicht
https://www.sueddeutsche.de/politik/ausschreitungen-in-chemnitz-haftbefehl-justizbeamter-1.4410685