02.10. und 03.10.1990 / Gebiet der ehemaligen DDR / Polizei / Justiz
In den Tagen vor der sogenannten „Wiedervereinigung“ und danach kommt es zu zahlreichen pogromartigen Überfällen auf Wohnheime von Migrant:innen und besetzte Häuser durch Nazis und Anwohner:innen. Die hier aufgeführten Fälle sind nur eine Auswahl und beleuchten insbesondere das Verhalten von Polizei und Justiz vor, während und nach den Angriffen.
Es ist gekennzeichnet durch Untätigkeit (im besten Fall Hilflosigkeit), Verharmlosung und Täter-Opfer – Umkehr. Resultat dieses Verhaltens der Sicherheitsbehörden sind zahlreiche Verletzte und schwer traumatische Erfahrungen.
Die Tage um den 2. / 3. Oktober 1990 sind Teil der #Baseballschlägerjahre.
Quelle und mehr Informationen: https://zweiteroktober90.de/
Leipzig Ungefähr 100 Nazis überfallen am Vorabend der „Wiedervereinigung“ das soziokulturelle Zentrum „Die Villa“ in der Karl-Tauchnitz-Straße. Sie zerstören fast alle Fensterscheiben. 45 Nazis werden festgenommen. Die Staatsanwaltschaft teilt Wochen später den Mitarbeiter:innen der Villa mit, dass die Täter nicht ermittelt werden konnten.
Eisenach Thüringer und hessische Nazis mit Unterstützung von Anwohner:innen belagern um den 2./3. Oktober 1990 ein Wohnheim von mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen. Scheiben werden eingeworfen und Menschen, die aus dem Haus kommen, angegriffen. Die Polizei bekommt die „Lage nicht in den Griff“, sodass die Stadt am 5. Oktober das Wohnheim evakuieren muss. Am 14.10.1990 müssen die Arbeiter:innen Deutschland verlassen.
Guben In der Nacht zum 3. Oktober 1990 greifen kurz nach Mitternacht ca. 80 Neonazis und Rechte ein Wohnheim mosambikanischer Vertragsarbeiter:innen an. Erst um 2.30 Uhr zieht die Polizei eine Schutzkette um das Heim und drängt die Nazis ab. Festnahmen gibt es keine.
Hoyerswerda In Hoyerswerda wird in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 ein Wohnheim mosambikanischer Vertragsarbeiter:innen zweimal von ca. 35 bis 50 Neonazis angegriffen. Als die Polizei eintrifft, drängt sie die Angreifer:innen ab. Auch hier weiß die Polizei im Vorfeld von den geplanten Angriffen. Sie weist die Arbeiter:innen an, sich im Haus zu verstecken und nicht hinauszugehen. Von den 16 Nazis, die an diesem Abend festgenommen werden, werden später 2 an den Pogromen 1991 in Hoyerswerda beteiligt sein.
Halle In Halle wird das „Reformhaus“ in dieser Nacht dreimal angegriffen. Beim dritten Angriff zerstören die Nazis das zum Haus gehörende Café. Eine Zeitzeugin: „Die Polizei rückte verspätet an und verhielt sich hilflos. Obwohl einige Randalierer noch in greifbarer Nähe waren, passierte nichts. (Zitat Polizist: ,Ja, was soll ich denn machen?‘). Erst beim 3. Überfall gab es Festnahmen.“
Jena In Jena wird am Abend des 2. Oktober 1990 das besetzte Haus KL 58, in dem sich das Autonome Jugendzentrum befindet, angegriffen. Die Neonazis verwüsten das Gebäude völlig, sodass es in der Folge von den Besetzer:innen aufgegeben wird. Statt ausreichend Schutz zu organisieren, raten die Behörden den Besetzer:innen, ihr Haus zu verlassen. Weil die Linken nicht selbst alle Häuser verteidigen können, verbarrikadieren sie das KL 58 und überlassen es den Nazis, die es unbewohnbar machten.
Der bei weitem schlimmste Angriff ereignete sich in Zerbst. Es ist ein Wunder, dass es durch die Untätigkeit der Polizei keine Toten gab. Siehe https://entnazifizierungjetzt.de/02-10-1990-zerbst-polizei-justiz/